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46 GLAUBE UND ABERGLAUBE
Testament (1620) verwertet, das zumindest zum Teil dialektal verfasst sein soll.53 Das
PersonenverzeichnisderPeriochezumverschollenenStückmitseinenvielenbairischen
Diminutivformenscheintdieszubestätigen.
AuchimOsterzyklus ndenwirabdemSpätmittelaltereineAusgestaltungbiblischer
Ereignisse mit folklorisierenden und zuweilen komischen Elementen in Anlehnung an
das Fastnachtspiel: der Jüngerlauf zum Grab des Herrn, die Salbenkrämer-, Soldaten-
undSeelenfangszenen.54DochhierfehlenunsvergleichbareUmsetzungenmitdezidiert
mundartlichen Anklängen (wie denn auch generell diese Szenen in der Frühneuzeit
nicht annähernd dieselbe Volkstümlichkeit wie die Weihnachtsszenen erlangen). Auch
in den beliebten Passionsspielen wurde Mündlichkeit soweit die wenigen Textbelege
aus dieser Zeit ein Urteil treffen lassen zwar mit regionaler Färbung, doch nicht be-
wusstdialektalgestaltet.Dieszeigt sichetwaauchbeiderOberammergauerPassionova
(1750) des aus Wien gebürtigen Ettaler Piaristen Ferdinand Rosner (1709 1778), einer
stilbildenden gereimten Fassung des seit 1634 inszenierten Spiels. Dass Rosner als Pater
comicus seines Klosters und in Freising durchaus gewillt und imstande war, Mundart
als künstlerischen Akzent wirken zu lassen, zeigen u.a. seine Faschingskomödie Der
Teutsche Sultan (1760) oder die lateinisch-deutsche Schulendkomödie Praemia Bene, &
male meritis ante Solennem distributionem distributa (1773) mit den Dialekt sprechen-
denFaulpelzenHircanusSoloecismusundSchachNadir.
Nur ein kleiner Teilbereich aus der Leidensgeschichte fand tatsächlich auch seinen
Weg in den mundartlichen Volksgesang: die Geschichte der Gefangennahme Jesu am
Ölberg. Mittelpunkt ist jeweils die volkstümliche Gestalt des Apostels Petrus, der zu-
nächst seinen Herrn mit dem Schwert verteidigen möchte, ihn dann aber aus Feigheit
verleugnet.DasältestebislangbekanntedialektaleÖlbergliedausdembairisch-österrei-
chischen Sprachraum ndet sich in einer Liedersammlung, die der Garstener Benedik-
tinerpater Leander Kremser (1751 1829) während seiner Salzburger Studienzeit in den
frühen 1770er Jahren anlegte. Es dürfte die Kontrafaktur einer älteren Liedpassion sein,
die in der heiteren Inszenierung der menschlichen Schwäche des Kirchenfelsen` nicht
den religiösen Ernst des Stoffs unterwandern, sondern den unvermeidbaren Sündenfall
des Einzelnen entlasten will. Durchaus zeittypisch und im Einklang mit katholischen
Moralvorstellungen wird dabei die Frau als eigentlicher Auslöser des sündhaften Tuns
identi ziert:
53 Vgl.NikolausHuber:DieLiteraturderSalzburgerMundart.Salzburg:Eigenverl.1878,S.6.
54 Vgl. Schulze, Geistliche Spiele im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Bernd Neumann: Geistliches
Schauspiel imZeugnisderZeit.ZurAufführungmittelalterlicherreligiöserDramenimdeutschenSprach-
gebiet.München:Artemis1987.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen