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136 KRIEG UND FRIEDEN
1,1 Bayrfürst] gemeint ist der Wittelsbacher Karl Albrecht von Bayern (1697 1745) 3,3 Fürst Lokowitz] Ge-
org Christian Fürst von Lobkowitz, 1686 1755, im Erbfolgekrieg Feldmarschall in Böhmen 6,2 lären] leeren
7,5 Stuck] Stück, Gestück: Kanone (als Kollektiv- oder Einzelbezeichnung) Bommen] Bomben 8,1 nechst]
kürzlich8,3dälogn]erlogen8,6Loign]Lügen9,1Fiat]Sprachspielmit at` (lat: eswerde, sosollessein)und
P at` (diGott): Behüte` (dichGott)9,6 thaint] tun
Im Gegensatz zum Lied von der Pandurenth'resel` wird hier das lexikalische Potenzial
fürHohnundSpottnurbedingtausgeschöpft.DennochspieltDialekthierebenfallseine
Rolledabei,Grenzendes(sprachlichen)UmgangsmitGegnernundOpferndesKrieges
zu überschreiten, wenn etwa in fünf der neun Strophen mitleidlos die verhungern-
den Franzosen erwähnt werden. Noch drastischer schildert ein weiteres Lied derselben
(wohl Linzer) Flugschrift (TE Deum Laudamus ihr Völcker heut singt) die Greuel des
Kriegs an den Auswirkungen der Belagerung und des erzwungenen Ausfalls der Fran-
zosenbeieisigerKälte:
4
NichtweitvonderMoldau, ibittdichbetracht,
dahabnsdirgroßmächtigeGruebnäaufg'macht,
jetztbilddirnureinwasdisesmusseyn,
daschmissens lauter todteFrantzosenhinein.
5
Manmachtnichtvilb'sonders,manläut ihnennichtaus,
sie führnsaufnWägnäwied'Scheitterhinaus,
ja sehrvieleWägenwiedieZeitunghatg'meldt,
daßbaldmitFrantzosenhättend'Moldauang'schwellt.
[...]
10
VilhundertFrantzosenanallOrthundEnd,
lagenerfrorneraufallnStrassenbehend,
ja sehrvilMarodesokuntennit fort,
müstenelendcrepirenanmanichenOrth.76
5,2 Scheitter]Holzscheite10,3 Marode]erschöpftLiegengebliebene
Dialekt als schwächer regulierte, dominant mündliche Sprachform scheint geeigneter,
solche Aspekte insbesondere für Propagandazwecke im Text zu transportieren. Die
mundartliche Wendung in derart zeitnah kolportierten Liedern suggeriert aber auch,
Nachricht aus erster Hand zu sein, vom Augenzeugen direkt und mündlich weitergege-
ben, ohne dass eine übergeordnete Instanz aus taktischen oder anderen Gründen steu-
ernd in die Informationsweitergabe eingegriffen hätte. Die ästhetische Überformung,
die mediale Verbreitung, die inszenierte Naivität: das alles spricht zwar gegen eine hö-
here Glaubwürdigkeit dieser Werke mit ihrer forcierten Mündlichkeit. Und doch lässt
sich derAdressat zumeistgerne aufdiese Fiktionein, selbstwenn ihmdie manipulative
Intentionalitätdurchausbewusst ist.
Zuweilen wird dieser Aspekt, die Zuverlässigkeit von Nachrichten bzw. die Authen-
tizität der verbreiteten Berichte, in den politisch-historischen Liedern auch selbst zum
Thema. Texte, die der feindlichen Seite gezielte Falschinformationen und lügnerische
76 SibenschöneNeueGesänger(s.Anm.67), f. 2r v.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen