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164 KRIEG UND FRIEDEN
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AftgebnseinTagfünfKreutzer,dasollmansichernähren,
dakanmansichbeymPreussenvorHungernichterwehren,
s'Stehln thutmanänit leiden,
wärNoth,wir fangetd'HünerbeymBauernausderSteign.
4
Gehteinerheimlidurchi,dawollnssieeinschonzwagn,
dakommensiegleichnacher,undnehmeneinbeymKragn,
undwollneinhangengschwind,
odergarderschiessen,daßDinggehtmiruminGrind.
5
Aft thainsaufnPlatzhersetzen,hatvierFüßundeinKopf,
istdaseinartlicheFröttn,hathintundvorneinSchopf,
hat lange, langeOhren,
aftwannmannurdraufreit, so thutseimbitterzorn.
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MußeineraWeildrauf jucka,äStundäzweyädrey,
dawirdeims'Maulso truckä,dasG'säßsoheißdarbey,
daßmansnichtglaubenkan,
derTeixelhohldenEsel, reitohneZaumdarvon.133
2,1 G'säß] Hose 2,2 G'fräß] hier offenbar Seitenwaffe 2,3 Schiessen] hier als Subst. für Schießgewehr
4,1 zwagn]waschen; (hier:) zurechtweisen4,4Grind]Kopf,Schädel (verächtlich)5,1 6,4Aft ... darvon]be-
zieht sich, so Klier, auf die Strafe des Eselreitens, auf einem hölzernen Gestell mit dachartigen Seiten ächen
sitzen 5,2 Fröttn]unzureichendeEinrichtung,Vorrichtung5,4 zorn]abzehren6,4 Teixel]Teufel
Sozialkritische Sprengkraft gewinnt das Lied durch die schonungslose Offenlegung der
Schikanen, denen die zwangsrekrutierten Soldaten ausgesetzt waren, und die drasti-
schen militärrechtlichen Konsequenzen für Fehlverhalten, die in den Werbeliedern na-
türlich ausgeblendet bleiben. Eine Schilderung des Kriegsleides allein ließe sich wieder
dazufunktionalisieren,StimmunggegendenFeindzumachenunddie
patriotischeGe-
sinnung` wachzuhalten. Hier aber richtet sich die Kritik direkt gegen die Obrigkeit und
die eigenen Befehlshaber. Das kennzeichnet dieses Lied tatsächlich als Lyrik von un-
ten` diewohlnichtzufällignurhandschriftlichüberliefert ist.
Die Existenzängste der Zwangsrekrutierten, jedoch aus herrschaftsaf rmativer Per-
spektive,behandeltaucheinTextausbekannterFeder:MichaelDenis (1729 1800),der
bedeutendeOssian-ÜbersetzerundKirchenlieddichter,veröffentlichte imzweitenBand
seinerLesefrüchte(1797)unterdemStichwort Mundart`den AbschiedeinesRecruten
im wennauchimDetail fehlerhaften
obersteyerischenBauerndialecte .134 Obwohl
das Gedicht auf den ersten Blick eine wehmütige Stimmung zu vermitteln scheint und
133 Vier schöne Neue Lieder, das Erste: König aus Preussen, was bildest dir ein, daß du in Sachsen etc. Das
Anderte: O Preuß, du grausamer Tyrann hör auf, du hast schon etc. Das Dritte: Nächt hat mi mein Mut-
tern in d'Stadt eini gschickt, da hab etc. Das Vierte: Ist einer weil dort wohl in der Stadt darinn, hat einer
etc.Gedruckt indiesemJahr. [Linz(?),1758].ZitiertnachKlier,HistorischeLiederdes18.Jh., S.35.
134 [Michael Denis]: Lesefrüchte. Zweyter Theil. M bis Z. Wien: Rötzel 1797, S.68. Zur Entstehungszeit
nden sich bei Denis selbst keine Angaben, auch lässt sich dies nicht aus anderen Quellen exakt eru-
ieren. Klier/Seemann konstatieren: Da Denis Steiermark 1756 verließ, kann die Entstehung dieser wohl
ältesten Mundartdichtung des Landes in die Mitte des 18. Jhdts. verlegt werden (Karl Klier/Erich See-
mann:Kunstlieder imVolksmunde.Nachweise. In: JahrbuchfürVolksliedforschung2(1930),S.156 160,
hier 160). Dies scheint zwar naheliegend, doch ist keineswegs auszuschließen, dass Denis nicht auch in
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen