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488 KĂ–RPER UND SINNLICHKEIT
IndieserTonartgehtesweiter;LipplwirdalsTherapiezurAutokoprophagiegenötigt
und vom Bader mit der ordinären Empfehlung entlassen: „ fris, Sauf, Brunz scheis und
speib dir gnueg, so wirds schan Bösser wern“ 27. Man muss kein Idiosynkratiker sein,
umhierdieEkelgrenzemassivĂĽberschrittenzusehen.
Wird hier Widerwillen durch den Fokus auf Fäkalien erzeugt, steht beim nächs-
ten Beispiel die facettenreiche Symptomatik einer ekelerregenden Krankheit im Mit-
telpunkt. Lindemayrs wohl bekanntestes Lied Der kranke Bauer, das sich mehr als zwei
Jahrhunderte im Volksgesang hielt, begegnet uns erstmals in seinem Lustspiel Herr von
Storax, das Molières Ballettkomödie Monsieur de Pourceaugnac (1669) klosterbühnen-
gerecht bearbeitet. Eingebunden in eine scharfe Ärztesatire, erhöht hier das sicherlich
schon frĂĽher entstandene Lamento das Lachpotential durch die drastische Schilderung
des bisherigen Leidenswegs des Bauern, der in der Behandlung durch einen selbstver-
liebten, aber völlig unfähigen Medikus prolongiert wird. Zuvor schon hatte er erfolglos
andere Möglichkeiten der Linderung gesucht: Nach der Kur mit den Heilp anzen ei-
nes Wurzelsammlers und den fruchtlosen Ratschlägen eines Sauschneiders vertraut er
sich einem Heiler an, der ihm jedoch mit seinen ZaubersprĂĽchen und Amuletten keine
Linderung verschaffen kann. Auch die lebensgefährlich häu g angewendeten, da ein-
träglichen Vomitiva und Aderlässe des Baders verschlimmern lediglich den Zustand
des Patienten, der als letzten Ausweg – so zumindest der Handlungsverlauf im Storax –
nundochdieteurenBehandlungeneinesstudiertenstädtischenMedizinersinAnspruch
nehmenwill:
1
Hänts istdennkainDocteranz'kemä,
DerainäReceptkuntväschreibm.
Derd'Krankät inStrigel rechtnehmä,
und 'sFiebäkuntglückläVätreibm.
Balddrucktsmi,baldbeistsmi,
Baldstichtsmi,baldreistsmi,
BaldSchludert,undschlögeltmäshien.
Bald thutmä 'sHerzzitern,
Baldbrenntsmi inGlidern,
ImueĂźnobeyZeitencrepirn. 2
InWintädaspengtsmi inFläxen,
InFrĂĽhlingKimmtsanher ind'HĂĽft.
InSumädaz'schrickändmäd'Häxen
KriegndFingädickSchrammer,undKlüft.
äwildsToifelweri,
ägrieniMaderi
RinntauerallsdicksTagundNacht.
Bin fra,däsßthutrinnä,
wannsblib inmirdrinnä,
däbrandhättmi lengst schonumbracht.
3
Baldmöcht ivonHuestenDästickä,
äs röcktmi ind'weit,undind' leng.
KankämäwaichsBreadahi schlickä,
I raitthalt,däPosag ist z' eng.
insMaulsteigtsoftanhi
ganzFezen oigntdanhi,
Und 'sKägäzenhatniekainEnd.
Thueteinwendirodeln,
mueĂźTagundNachtstrodeln,
Dennd'Lumpel,und 'sGröbistVäbrennt. 4
InKiritagz'nächstenobmz'Schwanä
HatsWeibeynWaldHänslwasKäft.
ÄnSchwizTrunkundStuppuntränanä,
undallä layWurzenundSäft.
Draufkämsmär ind'Waihä,
kuntkämmehrfürspaihä,
hatalliKrößädernvälögt,
DäMagnhatsiaufblät,
'sGedüräbmallsumdrät,
IwärbänainHaarbaldväröckt.
27 Ebda., f. 2v.
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Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen