Page - 494 - in Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte
Image of the Page - 494 -
Text of the Page - 494 -
OpenAccess © 2019byBÖHLAUVERLAGGMBH&CO.KG,WIENKÖLNWEIMAR
494 KÖRPER UND SINNLICHKEIT
Entomophagie,VerzehrvonErbrochenem,Verdorbenem,Verpökeltem,dazunochekel-
erregende Gerüche und degoutanter Geschmack in der detaillierten Inszenierung des
Unappetitlichen versichert man sich der Differenz zur akzeptierten Normalität, deren
alltäglicheLangweileunterlaufenundmitneuemReizaufgeladenwird.DersimpleAuf-
bau derartiger Ekellieder ein grausiger Gang nach dem anderen wird bei einem Mahl
aufgetragen erlaubte beliebige Erweiterungen und Variationen, die nicht zuletzt auch
als Modi kationen des Ekelemp ndens im Zivilisationsprozess gelesen werden kön-
nen. Schon aus dem späten 17. Jahrhundert hat sich mit Nägstn ist ä Malzeit gwest
eine 14-strophige handschriftliche Variante mit einer etwas klareren Redesituation im
Refrain erhalten. Obwohl länger, ist diese älteste überlieferte Fassung im Angebot der
aufgetischten Speisen noch weniger differenziert und beschränkt sich großteils auf das
Aufzählen von stinkendem oder besonders hartem und schwerem Essen wie in den fol-
gendenStrophen:
6
Afftnkamä eischantüsch
Lipplmerckhmiwol
Dösslwafeyganzvndfrisch
wieäzrissnä ädawisch
Lipplwiesei soll. 7
SkrauthatgarkaiMenschnitgmögt
Lippldaugt fürdi
hat so laidlagrausamgschmögt
alßwammaseypresshettglögt
Lippl friss rmi
8
Afftnhabnsvnsknödlbracht
Lipplmerckhmiwol
warnvogstunckhnaspöckagmacht
stai föstdasmäzändthabnkracht
Lipplwieseysoll 9
Hamiaufbastettngspart
lipplmerckhmiwol
odöwarso föstvndhart
hörtaalsäschlisslbart
Lipplgfaltsdawol
10
AffthabnsInsanhöchtngöbn
Lippl iezschreyJu
Jaderstünkhatmerckhs feyebn
machtkradspeibnvndybergöbn
lippl iez frissdu 11
Sbradl soll i aft traniern
Lipplmerckhmiwol
Lautabaikai rossmächts führn
häntäwieäbitträbirn
Lipplgfaltsdawol36
6,1Afftn]dann6,2Lippl]KurzformfürPhilipp6,3Dössl]das,diesesfey]wirklich6,4zrissnä ädawisch]zer-
rissener Flederwisch 7,3 laidla] ziemlich, leidlich 7,4 wam mas] wenn man es 8,4 stai föst] steinhart mä] mir
9,4 schlissl bart] Schlüsselbart 10,1 höchtn] Hecht 10,3 stünkhat] stinkt 10,4 speibn] erbrechen 11,1 Sbradl]
denBraten traniern]wohl (unbeabsichtigt) fehlerhaft für: tranchieren,zerlegen11,3Lautabai]nurKnochen
kai]kein11,4 häntä]hantig,bitter
InderzumindesteinhalbesJahrhundertjüngerenFassungwerdendagegendieverschie-
denenGängedesHochzeitsmahlsabwechslungsreicherinderEvozierungdesEkelreizes
beschrieben:NebengrausigemGestankundunappetitlicherKonsistenznimmtdie Zu-
bereitung`bzw.VerunreinigungmitverschiedenemUngeziefer (Läuse,Ameisen,Kretz-
milbe etc.) relativ großen Platz ein. Am Schluss wird der Braut noch ein dem Mahl
entsprechender Ausrutscher zugeschrieben, der die ekelhafte Geruchsbelästigung nun
auchaufeiner interpersonellenEbenethematisiert:
36 StaatsbibliothekzuBerlin,Ms.germ.oct.230,S.177 182(mitMelodie).
back to the
book Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800 - Eine andere Literaturgeschichte"
Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
Eine andere Literaturgeschichte
- Title
- Bairisch-österreichische Dialektliteratur vor 1800
- Subtitle
- Eine andere Literaturgeschichte
- Authors
- Christian Neuhuber
- Stefanie Edler
- Elisabeth Zehetner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20630-9
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 652
- Keywords
- Germanistik, Dialektliteratur, Bairisch, Sprachwissenschaft, österreichische Dialektkunst
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen