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Niederwölz. 4 5 9
Hier liegt auch das Gemeindehaus, welches noch gar seltsame Dinge verwahrt:
so den alten, reich gravierten Bürgermeister stab; die Ledertasche des ehe-
maligen Freising'schen Boten, des hochfürstlichen Couriers, in welcher die bischöflichen
Befehle und die devoten Supplicationen der Bürgerschaft hin- und herwanderten;
ein Ei cht rad*) grauenhaften Angedenkens und ein interessantes Straf-( Wasser-)
Joch, in welchem Sträflinge gespannt, Wasser auf die Burg Rothenfels ziehen
mussten.
Spitalskirche: Gegenüber der Pfarrkirche liegt dicht an der Stadtmauer
die dem h. Sigismund geweihte Spitalskirche, welche schon von außen durch das
zierliche gothische Thürmchen, welches Meister Jertleben am ö. Abschlüsse des
Baues herauswachsen ließ, die Originalität seines Bauherrn verräth.
Eine unregelmäßigere Baustelle wird kaum je ein mittelalterlicher Baumeister
gefunden haben, als Meister Jertleben hier zu Gebote stand. Aber mit der hand-
werksmäßigen Findigkeit der alten Gothiker fand er sich in der verschobenen Anlage
bald zurecht und construierte einen Kirchenbau, der heute zu den merkwürdigsten
des Landes zählt. Und so entstand an Stelle eines älteren Baues 1480—1435 der
heutige Schiffsraum mit dem weit außer seiner Axe liegenden Chore.
Das von einem Sternengewölbe überdachte 15-20 m lange, 12*50 m breite,
12*45 m hohe Schiff wird durch 3 Pfeiler in 2 oder eigentlich 3 Räume getheilt,
welchem der regelmäßig construierte, 15-80 m lange, 8*20 m breite und 12 m hohe
zierliche Chor, durch einen Scheidebogen verbunden, vorgelagert ist. Zwischen den
2 rückwärtigen Pfeilern ist eine Empore eingebaut.
Diese Empore diente für die Spitalsinsaßen, die durch den Einbau unmittelbar
vom Spitale zu ihr gelangen konnten. Hier verdienen die interessanten Verkuppe-
lungen der Gewölbe besondere Beachtung.
Die Brüstung der erwähnten Empore ist reichst mit Maßwerk und figuralem
Schmuck verziert, in deren st i l isierten Köpfen die ganze Satire der Gothik
sich geltend macht. Sie zeigt in der Mitte einen ausragenden steinernen Altar-
tisch, für die auf der Empore versammelten „Spitaler".
Auf der Brüstung der Empore sind auch 5 erhaben gearbeitete, in Farben
gefasste Wappenschilder angebracht, und zwar 1. oben das Wappen Habs-
burgs gegenüber jenes des Bisthums Freising und das Hauswappen
des Bischofs Ni cod emus della Scala (Herrn von der Leiter!), Mohrenkopf
und Leiter im rothen Felde. Tiefer 1. das Wappen der Welz er, die goldenen
Dachsporen im schwarzen Felde ; gegenüber das Wappen derLeisser , der
Doppelhalbmond, golden im schwarzen Felde; zu unterst das Wappenschild
mit dem Steinmetzzeichen des Baumeisters. Dieser selbst setzte sich ein Denk-
mal auf dem erwähnten Einbau in einer Porträtconsole mit interessanter Minuskel-
inschrift. Der kräftig markierte Kopf mit hoher Stirne und starkem Schnurrbart
des Meisters Hans Jertleben ist aus Stein gemeißelt und bemalt und dient zur
Aufnahme der Gewölbrippen. Darunter befindet sich folgende Inschrift:
Dieses Gebäud han icli Hanns
Jertleben mit frumber Leibt Hilff
Vollbracht — der •— werd gar wohl geacht
geschehen nach Christi Gepurd XIIII hundert
jar darnach in dem XXX jar Gott helf uns
An d — Englscliar — amen das werde war.
*) Die Hinrichtungen mittelst Rad fanden unter Schloss Rothenfels statt,
jene mittelst Schwert unweit davon auf dem Bühel, auf welchem sich vor dem
Neutliore die Drei-Kreuz-Kapelle erhebt, und jene mittelst Strang nächst der Ort-
schaft Reiming.
Die eherne Mark
Eine Wanderung durch das steirische Oberland, Volume 2
- Title
- Die eherne Mark
- Subtitle
- Eine Wanderung durch das steirische Oberland
- Volume
- 2
- Author
- Ferdinand Krauss
- Publisher
- Leykam
- Location
- Graz
- Date
- 1892-1897
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.1 x 20.37 cm
- Pages
- 613
- Keywords
- Steiermark, Heimatkunde
- Categories
- Geographie, Land und Leute
- Geschichte Vor 1918