Page - 46 - in Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
Image of the Page - 46 -
Text of the Page - 46 -
gothischen Stile bietet aber der Ccmstruction nicht geringe Schwierigkeiten. Der Durchblicke halber sollen seine Stützen
möglichst dünn, also Säulen sein, während doch der schwere Aufbau mit seinen steilen Giebeln eigentlich kräftige
Pfeiler als Widerlager verlangte. Es bleibt kein anderer Ausweg als die Einziehung eiserner Ichließen, wie sie denn
die Italiener in solchen Iälleu auch rückhaltlos angewendet haben. Eine andere, nicht leicht Zu lösende Aufgabe ifl
auch der Abschluß dieses Altargehäuscs nach oben. Eine Krönung über der Kreuzung des, eine Art Vierung bildenden
Doppeldnchcs erscheint nnerläßlich, mn nach der starken Qetonung der horizontalen, auch der aufstrebenden Richtung
wieder gerecht zu werden, welche durch den Stil des ganzen üauwerkcs unbedingt gefordert wird. Diesen verschiedenen
Gedenken und Erfordernissen hat der Architekt in folgender Weise Rechnung getragen: Vier in's Ouadrat gestellte
monolithe Säulen aus rothem Granit vom Fichtclgcbirge mit weißen Gasen und Glättcrcnpitälcn tragen den Galdachinbau
von Grisiguanoltein, der sich nach allen vier Seiten in ziemlich stumpfen, gicbclvckröntcn Spitzbögen öffnet. An den Ecken
oberhalb der Säulen stehen dreiseitige Iialen mit Statuen von U. Streschnnk. Es sind vorne zwei Gischöse und Märtyrer
und rückwärts zwei königliche Vrnuen: Papst Elemens, der Schüler und Nachfolger Pctri, und Polucnrpus, Gifchof
von Imu,rnn; Adelheid, die Prinzessin von Qurgund und Gemahlin Kaiser Ottos I., und dessen Mutter Mathilde,
die Gemahlin des deutschen Königs Heinrich I. Die vier seitlichen Hnuptbögcn und die feinen Rippen der beiden
Dingonalgurten trage» ein Kreuzgewölbe, dessen Kappen aus dünnen Ziegeln zusammengesetzt und von Ferdinand
Lnufvergcr mit den allegorischen Figuren der vierEnrdinaltugeuden: ?iuäentia, 5u8titia, ^ortiwäo und I'empkl-Äntia
bemalt sind. Am Schlußsteine in der Mitte schwebt der heilige Geist in Gestalt der Taube. Die senkrechten Nachen
der mer Zpitzgievcl find mit Mosaiken aus GlasIWen geschmückt. An der vorderen, dem Schiffe zugekehrten Seite
Maria mit geöffneten Armen als OranZ oder Fürbitterin der Ehristen in der goldenen Mandorla, der Schlange den
Kopf zertretend, und zu ihren Seiten in den unteren Ecken zwei sie verehrende Engel mit Spruchbändern, darauf die
Worte der hier ergänzten Stelle bei Lucas I. 46—47: Ullß'mücnt aniinlv (mea Oomwum) — Lxulwvit 8pü'i(tu8
IN6U3 in veo salutaii ineo). Dies Mofnikbild stammt aus der päpstlichen Fabrik im Uatikan und ist eine
Widmung von Pius IX., dessen Namen auch links unten angebracht ist, ihm entgegengesetzt rechts das päpstliche Wappen.
Die drei anderen Mosaiken kommen aus den Ateliers von A. Neuhauscr in Innsbruck und stellen dar: das an der
Rückseite Ehristus aus dem Regenbogen thronend mit dem Guche des Lebens zwischen zwei, Rauchfässer schwingenden
Engeln, das an der linken oder Evangelicnscitc den Engel der Gerechtigkeit mit Wage und Ichwert schwebend, in den
Zwickelseldern darunter Schriftbänder mit den Inschriften: Venit äies ni«,ßnu8 ir»? ip8orum — et cM8 potent
3tme. ^poca1^p8i8 VI. 17; und das an der entgegengesetzten rechten Seite den Engel der Apocalypsc, das Guch
mit den sieben Ziegeln haltend, und in den Zwickeln die Inschriften: Hui non inventus e8t m lidro vitN — ini88U8
68t m 8wßnum ißiÜ8. ^,p0C9,1vp8i8 XX. 9. Die Enrtons zu allen vier Mosaiken lieferte M. Trenkmald. Die
vier Giebel des Galdachins sind nichts als die seitlichen Abschlüsse seiner zwei sich kreuzenden Satteldächer, welche mit
schuppenförmigen Platten gedeckt sind. Auf der Durchkreuzung dieser Dächer sitzt, in der Art eines Dachreiters, ein
krönendes Spitzthürmchen. Das Postament desselben ist von diagonal gestellten Säulcheu umgeben, die auf den
schrägen Durchkreuzungslinien der Dächer auffitzen und freistehende Engel mit den Leidenswcrkzeugen Christi tragen.
Auf dem mittleren, ein wenig höheren Postamente steht die lebensgroße Gewnndfigur des verklärten Snlvntors, mit der
Rechten fegnend, die Linke nn's Herz gelegt, zwischen vier dünnen Pseilerchen, die vier Giebel und einen steilen
Thurmhelm tragen, oder anders ausgedrückt: in dem durchbrochenen Leibe einer Fiale, deren Riese mit, durch Vierpäffe
erleichterten Platten eingedeckt und mit Kreuzblume und Kreuz abgeschlossen ist. Diese schlanke Ipitzsäule oder Iiale
bildet die endliche Krönung des Galdachmbnues und somit des ganzen reichen Altnrwcrkcs. Die Jiguren des Zalvntors
und der vier obersten Engel sind ebenfalls von Joseph Gaffer modellirt, um aber weniger zu lasten, gnluanoplastisch
ausgeführt und vergoldet von Karl Haas. Uicr lichtgrauc Marmorstufen heben den Altarbnu über das Niveau des
PresbiMiums, und in Verbindung mit diefem Itufenbau erhebt sich an der Rückseite des Altares, noch innerhalb
des Gllldllchinbaucs, eine doppelnrmige, aus Vrisignnner Stein errichtete Treppe; diese führt ans einen Podest, von
46
Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Title
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Author
- Moriz Thausing
- Publisher
- Verlag von R. v. Waldheim
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 25.0 x 33.2 cm
- Pages
- 148
- Keywords
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Categories
- Geschichte Vor 1918