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deutet dieses Phänomen anders als Pomian nicht nur als einen Brückenschlag zwi-
schen An- und Abwesendem, sondern schlechterdings als einen zwischen Realität
und Fiktion:
Durch die Loslösung des Objektes aus seinem ehemaligen Entstehungszusammenhang, die Se-
parierung und die Einordnung in einen neuen Bedeutungszusammenhang, der von dem ur-
sprünglichen Kontext grundverschieden ist, die Inszenierung, wird das Objekt vom Gebrauchs-
gegenstand zum Exponat. Das Objekt ist zwar real, aber es befindet sich nicht mehr im Realen.
(Grütter 1997: 671)
Diese Neukontextualisierung, die das Museumsding als solches erst entstehen lässt,
macht aus dem Objekt zugleich einen Gedächtnisort im Sinne Pierre Noras: Sein
Bedeutungsinhalt ist zugleich Produkt als auch Kolportierung eines Wechselspieles
zwischen dem historischen Bruch mit der Welt, die es hervorgebracht hat, und der
konstruierten Tradition, welche diese (im Sinne Pomians ›unsichtbare‹) Welt mit der
unseren verbindet (vgl. Nora 1990: 23f.).
Nora macht diesen Zwiespalt am Beispiel des französischen Revolutionskalen-
ders deutlich, der für ihn den Idealtypus eines Gedächtnisortes darstellt. Der Revolu-
tionskalender hat laut Nora nur deshalb überhaupt historischen Referenzcharakter,
weil er sich nicht durchzusetzen vermochte. Hätte er dies getan, wäre er zu jenem
Bezugssystem avanciert, in welchem jedwedes geschichtliche Geschehen verortet ist
– womit er selbst unspezifisch geworden wäre. Erst seine Abgeschlossenheit im his-
torischen Prozess und der Bruch zwischen seiner historischen Situation und der un-
seren verleiht ihm seine bezeichnende Qualität für eine bestimmte zeitliche Periode.
Nur so können wir ihn an einen bestimmbaren Platz in der Geschichte stellen und uns
gleichsam zu ihm in Beziehung setzen. Zu diesem Zweck aber muss die historische
Welt zugleich in kontingenter Geschlossenheit konstruiert werden − und dies wiede-
rum macht es erforderlich, die geschichtlichen Brüche in narrative Kontinuitäten ein-
zuweben (vgl. ebd.: 26ff.).
Nichts anderes als eben diese Schaffung von Gedächtnisorten leistet das Museum.
Seine Exponate sind materiell auskristallisierte Frakturen der Geschichte. Sie stehen
auf einer zeitlichen Grenze zwischen einer Welt, in der sie entstanden sind und einer
anderen, die sie nun betrachtet und deutet. Tatsächliche Aussagen kann das Museum
mittels seiner Exponate nur dann formulieren, wenn es diese Bruchstellen in den
Kontext einer Historie eingliedert, die sinnhaft konfiguriert ist und in die Gegenwart
des Publikums mündet.
Ausgehend von diesen Überlegungen kann die in der Einleitung dieser Arbeit
vorgestellte Museumskritik Paul Valérys durchaus als ein Vorwurf an das Museum
gelesen werden, genau diese seine Kerneigenschaft zu verschleiern. Das Museum als
Institution, so stellt auch Korff unter Rückgriff auf Valery heraus, möchte seinen Be-
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien