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diesen mediale Träger von Bedeutungsinhalten – nach Waidacher ›Nouophoren‹ –
die für sich allein genommen meist unspezifisch sind und keine geschlossenen Aus-
sagen formulieren. Darin unterscheidet sich das Museum grundlegend vom Archiv
und der Bibliothek, die geschlossene Textkörper sammeln, welche sich auch außer-
halb ihrer Räumlichkeiten rezipieren lassen. Die historischen Überreste, welche Mu-
seen sammeln, weisen hingegen (wie ›authentisch‹ sie auch immer seien mögen) von
sich aus meist keinen klaren epistemischen Charakter auf. Musealisierung ist jener
Prozess, in welchem diese Objekte über kontextuelle Einbindungen in Ausstellungs-
und Verwaltungskontexte mit jenen Vermittlungs- und Anmutungsattributen belegt
werden, welche das Museum zur Ausführung seines gesellschaftlichen Auftrages be-
nötigt.
Gottfried Korff beschreibt diesen Auftrag als eine »Aufhebung« mit drei Ebenen:
Die erste Aufhebung ist die Zerstörung jener Bedeutungszusammenhänge, in wel-
chen die Objekte ›ursprünglich‹, also in ihrer historischen Entstehungs- und Ge-
brauchssituation, gestanden haben. Das zweite ›Aufheben‹ meint das Sammeln und
Aufbewahren, eben das Deponieren der Exponate. Die dritte Aufhebung schließlich
beschreibt die Erhöhung und Adelung der Dinge, die vom Museum als Träger kultu-
rellen Sinns ausgezeichnet und in seine symbolische Ordnung aufgesogen worden
sind (vgl. Korff 2005: 97).
Darüber hinaus ist das Museum auch eine Stätte des ästhetischen Erlebens. Mu-
seale Räume sind nicht nur mit intellektuell zu dechiffrierenden Bedeutungen und
Narrativen aufgeladen, sondern auch mit den auratischen und atmosphärischen Qua-
litäten ihrer Exponate – die allerdings, so müssen wir uns vor Augen halten, in weiten
Teilen selbst das Produkt des Musealisierungsprozesses und damit der Einbindung
der Objekte in kulturelle Deutungsmuster sind. Authentizität und ›Aura‹ sind keine
Eigenschaften, welche dem Objekt physikalisch innewohnen. Sie werden im Mu-
seum deshalb erfahrbar, weil sich die Institution für die Authentizität ihrer Ausstel-
lungsstücke verbürgt.
Für eine wissenschaftliche Arbeit drängt sich hiermit aber notwendigerweise
auch die Frage nach einem brauchbaren analytischen Zugang zu einer auf diese
Weise umrissenen Institution auf. Schließlich gilt es offenbar, nach sehr viel mehr
als nur Museumpädagogik und Authentizität zu fragen: Im Museum wird Wissen ge-
ordnet und vermittelt, werden Erlebnis- und Gefühlswelten geschaffen, werden Men-
schen gebildet, belehrt und erzogen, werden aber auch (Gedächtnis-)Inhalte kanoni-
siert, die weit über die Museumswände hinauswirken und das kulturelle Bewusstsein
und die Identitäten ganzer Gesellschaften mitinformieren. Das Museum äußert sich,
gibt aber auch seinen Besuchern Gelegenheit zur Äußerung. Dabei existiert keiner
dieser Wirkungsbereiche des Museums losgelöst von allen anderen. Wissen, Emp-
finden, Belehrung, Sinnstiftung usw. greifen vielmehr ineinander und sind funktional
nicht zu trennen. Um das Museum und den medialen Wandel zu verstehen, den seine
Virtualisierung darstellt, muss eine analytische Kategorie hinzugezogen werden, die
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Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien