Page - 86 - in Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
Image of the Page - 86 -
Text of the Page - 86 -
86 | Dinge – Nutzer – Netze
wörtlich »Vor-Schrift« (Schröter 2009: 31): Wer programmiert, der gibt einem Com-
puter vor, welche der unzähligen ihm potenziell möglichen Rechenoperationen er
ausführen soll. Das Mittel hierzu ist der Code, der, wie der Jurist und Netzaktivist
Lawrence Lessig festellt, für das Funktionieren von Computern einen eigenartigen
Doppelcharakter aufweist. Er ist zugleich seine Substanz als auch sein Gesetz, er wird
vom Computer nicht nur ausgelesen und ausgeführt, sondern bestimmt zugleich dar-
über, wie diese Operationen stattfinden (Lessig 2001: 24f.). Insofern belegt der Code
ein virtuelles ›Dazwischen‹ von bloßer Möglichkeit und erfahrbarer Aktualität – er
bildet ›reale‹ (weil durchführbare) Rechenprozesse ab, die aber selbst noch nicht das
›Eigentliche‹ des Mediums darstellen. Dieses nämlich manifestiert sich, wie Sherry
Turkle Mitte der 1990er Jahre in Life on the Screen diagnostiziert, erst auf der Ebene
des Interfaces, welches die grafische Schnittstelle zwischen kultureller Lebenswelt
des Menschen und formaler Logik des Rechners darstellt (Turkle 1998: 32f.). Wir
interagieren im Alltag meist nicht mit Computern-als-Rechenmaschinen, sondern mit
jenen impliziten Maschinen, die virtuell in ihrer Rechenkapazität bereits vorhanden
sind und von einem entsprechenden Programm in die Aktualität des Interfaces gezo-
gen werden:
Datenverarbeitung und Darstellung sind voneinander entkoppelt und beschreiben eine Grenze
der wechselseitigen Kommensurabilität von Mensch und Maschine. »Interface« heißt fortan all
das, was Datenverarbeitung in einer Doppelbewegung zugleich unsichtbar macht und auf an-
dere Weise wieder erscheinen läßt, oder umgekehrt: das, was aus Eingaben Daten macht, und
dabei bewirkt, daß die Eingaben nicht mehr die Daten sind. (Pias 2002: 253)
2.1.2 Interfaces und die ›Kultur der Simulation‹
Die ontische Stellung von Interfaces ist in vielerlei Hinsicht die Gretchenfrage für
einen kulturwissenschaftlichen Umgang mit digitalen Medien. Die parallel zu Heim-
und Personal-Computer entstandene Hacker-Szene beispielsweise gruppiert sich ja
bis heute um die Idee, dass es durch die Interfaces hindurch auf die unanschauliche
funktionale Logik des Apparates zu blicken gilt (vgl. ebd.: 252ff.). Auch in der Kul-
turkritik werden die medialen Entwicklungen der Interface-Kultur häufig pessimis-
tisch und als Anzeichen schwindender Rezipientensouveränität in einem vorgebli-
chen ›Spätkapitalismus‹ gelesen, der bei den ihn tragenden Konsumenten in erster
Linie ›Oberflächlichkeit‹ kultivieren möchte (vgl. Jameson 1984: 60ff.). Diese Lesart
begreift das Interface als ein bloßes Trugbild – eine Täuschung, die vom Wesentli-
chen der Computertechnologien ablenkt. Wirkliche ›Demokratisierung‹ des Compu-
ters würde demnach nicht etwa bedeuten, ihn durch grafische Benutzeroberflächen
immer einfacher bedienbar zu machen, sondern vielmehr, die Anwender zu seiner
Nutzung ohne derartige Krücken zu emanzipieren. Aus dieser Warte erscheint das
back to the
book Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen"
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien