Page - 148 - in Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
Image of the Page - 148 -
Text of the Page - 148 -
148 | Dinge – Nutzer – Netze
also eher Botschaft als Medium. »Artefakte« hingegen sind all jene materiellen Ob-
jekte, die aus ›Herstellungs‹-Prozessen im Sinne Hannah Arendts hervorgehen und
die die Zeit nicht als immer wieder tradierter Inhalt, sondern in ihrer konkreten räum-
lichen und körperlichen Verfasstheit überdauern (vgl. Samida 2002: 20). Diese Un-
terscheidung ist natürlich implizit abermals eine zwischen finiten und permanenten
materiellen Dingen einer- und Zeitobjekten andererseits, die nun aber vor allem un-
terschiedliche Ursprünge des Objektes in den Fokus rückt: Während Mentefakte
eben dem Geist entspringen, setzen Artefakte ein kunsthandwerkliches Tätigwerden
ihrer Erzeuger voraus.
Digitale Interface-Erscheinungen, wie Kittler sie konzeptualisiert, wollen aber so
recht unter keine dieser Kategorien passen, weil sie eben letztlich weder aus den Hän-
den noch aus den Hirnen menschlicher Agenten hervorgehen. Kittler verortet die Tat-
sächlichkeiten der Bilderzeugung am Computer in einer Seinsdimension, die er als
»Hypernatur« (Kittler 2002: 180) bezeichnet, und die eben weder der relativen Will-
kürlichkeit kultureller Formen und Zuschreibungen unterworfen ist, noch dem ent-
spricht, was wir umgangssprachlich als ›die Natur‹ bezeichnen würden. Die Hypern-
atur nach Kittler ist vielmehr die Domäne der logischen Formalismen und der mathe-
matischen Ausdrücke, die zwingend und unverhandelbar (und damit eben auch kul-
turresistent) sind, wenn sie auch nicht von sich aus sichtbar in der Natur in Erschei-
nung treten (vgl. ebd.).
Nun wäre es natürlich patent absurd, die Ergebnisse digitaler Bildgebung tatsäch-
lich als Naturafakte abzuhandeln. Computer sind in kulturelle Kommunikationspro-
zesse eingebunden, ihre grafischen Oberflächen werden in kulturellen Kontexten ge-
nutzt und gedeutet, und obwohl Software von Computern nach mathematischen Ge-
setzmäßigkeiten aktualisiert werden muss, liegt ihr üblicherweise doch eine mensch-
liche Geistesanstrengung zugrunde: Die Vor-Schrift, nach der Computer rechnen,
wird ihnen von Menschen eingeimpft, die mit ihnen umgehen können.
Zugleich deutet die Endung ›-fakt‹ eine ›Gemachtheit‹ an, und zwar eine solche,
die bereits abgeschlossen ist. Factum ist im Lateinischen die »vollendete Tat«, die
ihren Weg in unseren heutigen Sprachgebrauch vor allem als »Tatsache« (vgl. Pert-
sch 2008: 240) gefunden hat – ›-fakte‹ haben also ihren Herstellungsprozess defini-
tionsgemäß bereits durchlaufen und sind in einem unverhandelbaren Endzustand an-
gekommen. Darin stellen sie geradezu die Antithese von ›Daten‹ dar, die ja gemäß
Hui als ein noch zu erschließendes ›Gegebenes‹ die funktionale Grundlage digitaler
Informationstechnik bilden. Digitale Objekte erreichen niemals die formale Abge-
schlossenheit, die das -fakt als solches auszeichnet. Vielmehr verbleiben sie stets im
Zustand des Gemacht-Werdens, der laufenden, kontextabhängigen Aktualisierung
und Transformation zwischen Rohdaten und Interface und damit auch zwischen
Computer- und Kulturebene. Die Vermittlung zwischen Abstraktem und Konkretem,
die von Benutzeroberflächen geleistet wird, ist vor allem auch eine zwischen der na-
back to the
book Dinge – Nutzer – Netze - Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen"
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Title
- Dinge – Nutzer – Netze
- Subtitle
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Author
- Dennis Niewerth
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 428
- Keywords
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Category
- Medien