Page - 30 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Der Riesendrahtverhau von 375 Kilometer Länge ist fast zwei Meter hoch und be-
steht aus zwei Schichten Draht, die anderthalb Meter voneinander entfernt sind.
Zwischen den beiden Reihen des Doppelverhaues befinden sich Kreuzverbin-
dungen, an denen Ladungen mit Leuchtpatronen befestigt sind: An vielen Stellen
wurden ferner in Abständen von wenigen Metern Minen ausgelegt.
Hinter dem Verhau befindet sich ein 50 Meter breiter Streifen Brachland, der
völlig abgeholzt und sogar von höherem Gebüsch gerodet wurde. […] Das ge-
schlagene Holz wurde vielfach an Ort und Stelle zur Errichtung von insgesamt 87
Wachtürmen verwendet. Diese Türme sind 10 bis 15 Meter hoch, 82 von ihnen
sind mit Scheinwerfern ausgestattet, mit denen das österreichische Gebiet in einer
Tiefe von anderthalb Kilometer abgeleuchtet werden kann.
Auf den Türmen befinden sich mit automatischen Waffen ausgerüstete Truppen
der ungarischen Grenzpolizei, die in den letzten Wochen durch Militärabteilun-
gen verstärkt wurde.32
Die akribische technische Beschreibung der ungarischen Grenzsperre fungiert
hier als Marker ihrer Evidenz. Die todbringende Gewalt, die in ihr steckt, wird
metonymisch auf die gesamte dahinterliegende Welt verschoben. Ein rhetori-
sches Verfahren, das sich auch in Gefährliche Grenze findet, und zeigt, wie Kel-
lers Buch an dieses zeitgenössische Diskursmuster angebunden ist. Paul Anton
Keller, der 1933 der NSDAP beitrat und nach 1939 Leiter der Reichsschrifttums-
kammer der Steiermark wurde, musste sich freilich ideologisch nicht viel für
den Antikommunismus der Nachkriegszeit verbiegen, da manche Elemente des
Kalten Kriegs-Diskurses im Westen etablierte antibolschewistische Argumenta-
tionslinien der Nationalsozialisten fortführten.33 Von der konkreten Beschaffen-
heit des Eisernen Vorhangs sowie der von ihm ausgehenden Bedrohung können
sich die Buben in Gefährliche Grenze selbst überzeugen, – unüberwindlich ist er
für Dick und Mac jedoch nicht. Ein Stacheldraht, in dem auch hohe Gebüsche
stecken, die „vom Drahtnetz völlig umschlossen“ werden und ein „kräftiger Vier-
kantpfahl, darauf das schwarzumrandete Geviert und in mächtigen Buchstaben
32 N.N.: So sieht der Eiserne Vorhang aus. In: Arbeiter-Zeitung, 10.6.1949, S. 1.
33 Keller war als Funktionär im Literaturbetrieb des „Dritten Reichs“ zum Landesleiter der
Reichsschrifttumskammer für die Steiermark avanciert, sein Gesamtwerk fand sich 1946 auf
der „Liste der gesperrten Autoren und Bücher“ des Unterrichtsministeriums. Offiziell wurde
Kellers Sperre bereits im Oktober 1948 wieder aufgehoben, weil er als „minderbelastet“ ein-
gestuft wurde, weshalb es im nicht schwerfiel, im literarischen Feld der Nachkriegszeit wieder
Fuß zu fassen. Seine Werke wurden im Stiasny-Verlag sowie im Verlag Anton Pustet verlegt.
Vgl. Sabine Rupp: Die Lebensgeschichte des Autors Paul Anton Keller – ein endlos gefloch-
tenes Band. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 25 (1994) H. 1, S. 457–474.
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30 1 Die Grenze
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918