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din“42 namens Katja –, seit einem Monat in einem Loch, „in dem es nach Kot
und Zigarettenrauch stank […] wie eine Spinne in ihrem Netz“ auf der Lauer.
Er beobachtet eine Signallampe, die von einem Draht bei Berührung ausgelöst
wird. Als eine Gruppe von Flüchtlingen versucht, über die Grenze zu gelangen,
„flammten Scheinwerfer auf und glitten suchend über das Gelände“, schließlich
leuchtet Lajos’ Signallampe auf und er hetzt Katja auf die Flüchtlinge. Katja fällt
eine Frau an und beißt diese tot: „Rings um ihn blitzten die Mündungsfeuer der
Maschinengewehre, und die Hunde heulten, als wären sie die Opfer der Jagd.
Lajos war ganz allein. Von Katjas Mund troff Blut.“
Lajos, dem scheint, dass der ungarischen Geheimpolizei „mehr daran gelegen
[sei], die Flüchtlinge zu stellen, als sie wieder zurückzutreiben“, erschießt ange-
sichts dieses Gemetzels seinen Hund: „Er hob die Maschinenpistole und schoß
das Magazin leer …“ Am nächsten Tag muss sich Lajos betreffend die Erschie-
ßung seines Hundes und nicht wegen des Todes der Frau bei einem Vorgesetzten
rechtfertigen: „‚Sie hat mich angefallen‘, preßte er mühsam hervor. ‚Das Blut – ich
mußte es tun – mein Leben…‘ Plötzlich schämte er sich für dieses Leben.“43 Auch
Benesch beschreibt die Grenze als prekäre Zone, in der die humanitären Aspek-
te negiert und die Auswirkungen des totalitären Regimes nicht nur auf die flüchten-
den Staatsbürger, sondern auch auf die die Grenzen sichernden Soldaten sichtbar
werden. Benesch reiht sich damit in die antikommunistische Argumentations-
strategie ein, der Keller und Henz folgen, ergänzt sie jedoch um den Aspekt, dass
auch die die Grenzen bewachenden Soldaten Opfer des Systems sind.
Dagegen wird der avantgardistische Künstler Hans Uwe Hasil im satirischen
Roman Der Kartonismus (1965)44 von Rudolf Henz zu einem unfreiwilligen
Grenzverletzer. Obwohl er davon ausgeht, dass die Materialität und Beschaffen-
heit der Grenze, an die er sich zwecks künstlerischer Entfaltung zurückziehen
will, gut sichtbar ist, bleibt ihr Verlauf für ihn dennoch an manchen Stellen rät-
selhaft, scheint geradezu absurde Ausmaße anzunehmen und so überschreitet
er sie ohne es zu bemerken. Die Grenze zur „Vollkommenen Volksrepublik“
(hinter der sich verklausuliert die DDR verbirgt) wird durch eine Tafel angekün-
digt, die darauf hinweist, dass es nur noch 200 Meter zur Grenze wären, was
Hasil „[e]cht bürokratisch“ (K 57) findet, denn „[w]er nähert sich der Grenze
schon mit dem Meterband?“ (ebd.) Hasil, der in einer Höhle im Auwald am
Mirafluss Zuflucht sucht, verletzt die genau durch die Höhle verlaufende Gren-
ze und wird von Wachsoldaten verhaftet. Ein Grenzer erklärt Hasil, dass die
„Drahthindernisse gegen diverse Aggressoren“ (K 60), „[d]reifacher Stachel-
42 Ebd.
43 Ebd.
44 Rudolf Henz: Der Kartonismus. Ein satirischer Roman. Graz: Stiasny 1965. Im Folgenden als
F mit fortlaufender Seitenzahl zitiert.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
34 1 Die Grenze
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918