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Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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die die Vorgeschichte der „Reisen ins Rote“ im Kalten Krieg bilden. Die berühm- testen dieser Berichte sind André Gides Zurück aus Sowjetrußland (1936) und Lion Feuchtwangers Moskau 1937. Während sich der Kommunist Gide aufgrund des Gesehenen entsetzt von Stalins Diktatur abwandte und klar formulierte: „Das haben wir nicht gewollt. […] Es ist genau das, was wir nicht gewollt haben“,51 lieferte Feuchtwanger in seiner Entgegnung auf Gide eine Apologie der UdSSR, in der er selbst die Moskauer Schauprozesse als „vortrefflich“52 bezeichnete und alle Vorwürfe gegenüber dem Regime als böswillige Verleumdungen abtat: Dummheit, böser Wille und Herzensträgheit sind am Werk, alles Fruchtbare, was im Osten geschieht, zu verdächtigen, zu verleumden, es nicht wahrhaben zu wollen. Ein Schriftsteller aber, wenn er etwas Großes gesehen hat, darf sich nicht davor drücken, Zeugnis abzulegen, auch wenn dieses Große nicht populär ist und seine Worte vielen nicht angenehm klingen. Ich lege also Zeugnis ab.53 Auch Bertolt Brecht kritisierte Gides Buch und verlangte, dass Besucher aus dem Westen sich stärker auf die – unbekannte, weil ‚unbürgerliche‘ – Wirklichkeit einlassen müssten.54 Auch Brecht vermutete also, dass Gides Kritik an der UdS- 51 André Gide: Zurück aus Sowjetrußland. In: Ders.: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Hg. v. Raimund Theis, Peter Schnyder. Bd.  6, Reisen und Politik, 2. Teilband. Stuttgart: Dt. Verlags- anstalt 1996, S.  41–116, hier S.  84. Vgl. vor allem auch den Text Retuschen zu meinem Russ- landbuch [1937] im selben Band, wo Gide über kritikwürdige Aspekte in der Sowjetunion schreibt. 52 Lion Feuchtwanger: Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde. Berlin: Aufbau 1993, S.  98. 53 Ebd., S. 11. Die Blindheit des kritischen Humanisten Feuchtwanger gegenüber den gerade 1937, zur Zeit seiner Reise, durchgeführten Verhaftungswellen und all den anderen Repressalien des Stalin’schen Regimes, war für viele seiner Zeitgenossen dermaßen verstörend, dass Gerüchte kolportiert wurden, Feuchtwanger habe sich von Stalin bestechen lassen oder er habe gehofft, durch seine Apologie die angeklagten jüdischen Freunde in der UdSSR retten zu können. Vgl. dazu Michael Rohrwasser: Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunis- ten. Stuttgart: Metzler 1993, S.  151  f. Darüber hinaus konnte Feuchtwanger gar nicht Russisch, er befürchtet daher zwar, „es werde mir, dem Sprachunkundigen, schwerfallen, durch die Ober- fläche und die allenfalls arrangierte Hülle ins Innere hineinzuschauen“ (Feuchtwanger: Moskau 1937, S.  9). Er hat aber dann keine Schwierigkeiten dabei, „Zeugnis“ (ebd., S.  11) über das Gelin- gen des sowjetischen „Experiment[s]“ (ebd., S.  7) abzulegen. Auch für ein klares Urteil zu den Schauprozessen scheinen seine fehlenden Russisch-Kenntnisse kein Hindernis. Vgl. Karl Kröhn- ke: Lion Feuchtwanger. Der Ästhet in der Sowjetunion. Ein Buch nicht nur für seine Freunde. Stuttgart: Metzler 1991, S.  26. Zu Feuchtwangers Gestus der kritischen Augenzeugenschaft vgl außerdem Schlögel: Terror und Traum. Moskau 1937. München: Hanser 2008, S.  119–135. 54 Vgl. Bertolt Brecht: Kraft und Schwäche der Utopie [Frühjahr 1937]. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hrsg. v. Werner Hecht [u.a.], Bd.  22, Teil I. Bearb. v. Inge Gellert [u.a.] Berlin, Weimar: Aufbau, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, S.  286– 289. Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR 70 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
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Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Title
Diskurse des Kalten Krieges
Subtitle
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20380-3
Size
15.9 x 24.0 cm
Pages
742
Categories
Geschichte Nach 1918
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