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und heftigste Reaktionen der amerikanischen Besatzungsmacht ausgelöst,63 was
die Sowjets als Beweis für den Realismus oder Wahrheitsgehalt des Dramas inter-
pretierten,64 wurde doch in Die russische Frage das große Interesse amerikani-
scher Kapitalisten thematisiert, positive Äußerungen über die Sowjetunion zu
unterdrücken.
Auch in Österreich scheiterte eine Aufführung des Stücks im von Günther
Haenel geleiteten Volkstheater im Frühjahr 1947 an der Weisung des amerika-
nischen Kulturoffiziers Ernst Lothar.65 Am 6.
März 1948 hatte es dann unter der
Regie von Günther Haenel im kommunistischen „Neuen Theater in der Scala“
in Wien Premiere. Im selben Jahr wurde es in Wien als Film gezeigt und im Par-
teiverlag der KPÖ, dem Globusverlag, gedruckt. Auch hier galt: „Wie kaum ein
anderes Stück polarisierte Die russische Frage und trug entscheidend zur Festi-
gung der politischen Lagermentalität zwischen Ost und West auf dem Theater
bei.“66
Angesichts der politischen Brisanz der Frage nach den realen Verhältnissen
in einem System, das sich sowohl als Alternative zum eben besiegten National-
sozialismus als auch als Alternative zum kapitalistischen Westen präsentiert,
und angesichts der publizistischen Präsenz von propagandistischen Berichten
über die ‚Wirklichkeit‘ in der Sowjetunion, nimmt es nicht wunder, dass auch
die österreichische Literatur in diesen Diskurs eingreift und eigene Entwürfe zur
Frage der Welt hinter dem Eisernen Vorhang wie zur Frage der Augenzeugen-
schaft liefert. Einige dieser Entwürfe sollen im Folgenden genauer beleuchtet
werden.
63 Vgl. Caute: The Dancer Defects, S. 105–110.
64 Vgl. Christian Kanig: Literature and Reeducation in Occupied Germany, 1945–1949. In: Greg
Barnhisel, Catherine Turner (Hg.): Pressing the Fight. Print, Propaganda, and the Cold War.
Amherst, Boston: Univ. of Massachusetts Press 2010, S. 71–88, hier S. 81.
65 Vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: ‚Die russische Frage‘: Ein Theaterstück eröffnet den Kalten
Krieg. In: Dies.: Theater im ‚Wiederaufbau‘. Zur Kulturpolitik im österreichischen Parteien-
und Verbändestaat. Wien: Sonderzahl 2001, S. 115–118, hier S. 116.
66 Deutsch-Schreiner: ‚Die russische Frage‘, S. 118. Vgl. die Rezensionen: N.N.: Zur „Russischen
Frage“. In: Arbeiter-Zeitung, 9.3.1948, S.
2, und Viktor Matejka: Die Frechheit derer, die mit
der Feme zündeln. In: Tagebuch 5 (1950) H. 6, 18.3.1950, S. 1 f. In der Arbeiter-Zeitung
wird etwa anlässlich der Aufführung 1948 bedauert, „daß sich Wiener Regisseure und Schau-
spieler dazu hergegeben haben, derart die politischen Geschäfte einer fremden Macht zu trei-
ben: man wird sich gut merken, daß sie damit – jeder einzelne von ihnen – einen Schritt aus
dem Bereich der österreichischen Kunst hinaus getan haben.“ Eine umfangreichere Bespre-
chung der Rezeptionszeugnisse liefert Susanne Kamptner: Der Kalte Kulturkrieg. Österreich
als Subjekt und Objekt im Ost-West-Spannungsfeld. Antikommunismus als kulturpolitischer
Konsens dargestellt am Beispiel von Wiener Theaterkritiken aus den Jahren 1945–1955. Wien:
Dipl.-Arb. 1997, S.
159–170. Vgl. zur Bedeutung des Dramas innerhalb des Kalten Krieges auch
Caute: The Dancer Defects, S. 88–116. Die Rhetorik der Augenzeugenschaft 73
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918