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In der bürgerlichen Presse wird kritisch angemerkt, dass ein so ernstes Thema
wie die Flucht aus dem Osten auch ernst behandelt werden müsse. Der Darstel-
lungsmodus als „Fieber- und Alptraum“, als der sich die Handlung schließlich
entpuppt, sei nicht angemessen. Zwar spricht das Drama in Rückblicken und
Erinnerungen auch die Schrecken des Sowjetregimes an, doch für den Geschmack
des Rezensenten wohl zu wenig konsequent, da auch vielfach ‚klischeehafte‘ Kri-
tik am Westen geübt wird. So rät der Presse-Rezensent dem Autor:
Lieber Kühnelt, bleiben Sie weiter bei Ihren Märchenerzählungen über die Bezie-
hungen der Menschen in dieser kalten, technisierten, mechanisierten Welt. Hier
liegt Ihre Begabung. [...] Die große politische Sozial- und Gedankensatire aber
bedarf einer Faust, die Sie nicht haben. Diese Faust muß zuschlagen können, die
Fäden der Handlung fest halten, die Figuren hart formen. Der Schlag, den Sie
führen, aber ist schwächer als das Thema, [...]83
Das Reise-Narrativ in Satire und Parodie
Die Überspitzung des Augenzeugen in Robert Neumanns Parodien
Über eine ganz andere „satirische Faust“ verfügte der österreichische Exilautor
Robert Neumann, der eine scharfe Parodie auf die linientreue kommunistische
Literaturpraxis und deren Umgang mit der Frage der Augenzeugenschaft ver-
fasst hat. Die Parodie richtet sich gegen berühmte Schriftstellerkolleginnen und
-kollegen in der DDR – wie Stephan Hermlin, Anna Seghers, Friedrich Wolf
oder Arnold Zweig – und deren Unterwürfigkeit gegenüber der sowjetischen
Propagandalinie. Alles dreht sich dabei um eine ursprünglich für Kinder gedach-
te Erzählung des sowjetischen Autors Michail Soschtschenko mit dem Titel
Abenteuer eines Affen (1945)84, die in Ost und West als scharfe politische Parabel
gelesen wurde, mit unterschiedlichen Bewertungen selbstverständlich. Als sich
während eines Bombenangriffs der Käfig eines Affen im Zoo öffnet, macht sich
83 Piero Rismondo: Bei bestem Willen. Uraufführung im Burgtheater: H. F. Kühnelts ‚Straße ohne
Ende‘. In: Die Presse, 14.6.1963, S. 6.
84 Die Erzählung, die wohl ohne den Willen zu politischer Provokation verfasst wurde, wurde in
der Mai-Juni-Ausgabe 1946 der Zeitschrift Zvezda (Stern) ohne Wissen des Autors und ohne
böse Absicht der Initiatoren gedruckt und daraufhin von der obersten Parteispitze zum Stein
des Anstoßes genommen, um Soschtschenko seiner schriftstellerischen Existenz zu berauben.
Sie wurde allerdings schon vier Mal vor dem Abdruck in Zvezda veröffentlicht, ohne dass
Einwände erhoben wurden. Die Erstveröffentlichung fand in einem Kinderliteraturmagazin
(Murzilka, Nr. 12, 1945) statt. Vgl. Linda Hart Scatton: Mikhail Zoshchenko. Evolution of a
Writer. Cambridge: Cambridge Univ. Press 1993, S. 43 und 158.
Das Reise-Narrativ in Satire und Parodie 83
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Title
- Diskurse des Kalten Krieges
- Subtitle
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Size
- 15.9 x 24.0 cm
- Pages
- 742
- Categories
- Geschichte Nach 1918