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Nach 1918
Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Page - 89 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur

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ten nur gar zu gerne wissen, was ein ausverkauftes Opernhaus gegen das Grauen der Diktatur beweist, unter deren Regie und Regime der Ausverkauf stattfindet. […] Hat er [Wilhelm Marinelli; siehe Fußnote] geglaubt, daß man ihn statt in Opernhäuser und Kulturpaläste in Gefängnisse und Konzentrationslager führen oder daß man für ihn und seine Kollegen statt eines Empfanges eine besonders schöne Massendeportation veranstalten würde?98 Torberg lenkt hier die Debatte um die Wahrheit hinter dem Eisernen Vorhang auf die Frage der Selektivität des Gesehenen. Er wirft den Augenzeugen Einäu- gigkeit und mangelndes Reflexionsvermögen über die Wahrnehmungsfilter vor, die von den sowjetischen Propagandainstitutionen installiert werden. So werden „Gefängnisse und Konzentrationslager“ eben ganz bewusst nicht zum Gegen- stand der Propagandareisen in die Sowjetunion99 und die Delegierten fragen auch nicht danach. Genauso selektiv ist der Blick des „Eingeladenen“ in Fahrt ins Rote, auch er hält die propagandistisch auswertbaren Aspekte des bereisten Landes unhinterfragt für ‚wahr‘, hegt aber sogleich Zweifel an der Erklärung des Verhafteten, er werde grundlos festgehalten: „ich kenne Sie ja nicht ... Wie soll ich wissen, ob sie mir die Wahrheit erzählen?“ (FR 166) Diese misstrauische Reaktion wirkt besonders zynisch von einem Delegationsmitglied, das die Erzäh- lungen seiner kommunistischen Gastgeber in keiner Weise in Zweifel zieht. Bit- tere Ironie enthält auch eine Passage, in der die Figur des „Zweiten Apparatschik“ dem ob seiner Verhaftung bereits nervlich zerrütteten „Unvoreingenommenen“ einen Witz erzählt: In unser Land man erzählt Geschichte. Das geht so: In ein Ortschaft Polizei gibt Plakat auf Wand: Es ist gekommen ausländische Agent. Wer sieht Agenten, soll ihn erschießen. Sagt ein Tourist zu seinem Freund: ‚Ich fahre fort.‘ ‚Du bist doch nicht Agent!‘ sagt der Freund. Sagt der Tourist: ,Wenn Polizei wird schießen auf Agenten, wird erschießen Fremden. Dann bringe Beweis, du warst kein Agent ...‘ Er beginnt zu lachen, der Unvoreingenommene fällt ein, sein Lachen steigert sich zu einem hysterischen Lachkrampf. (FR 173)100 98 Friedrich Torberg: Der fröhliche Ostfahrer. Zu einer Studienreise österreichischer Wissen- schaftler. In: Forvm  1 (1954) H.  12, Dezember, S.  15  f. [Der Artikel bezieht sich auf eine Ein- ladung zu einer Studienreise an österreichische Wissenschaftler und Künstler durch die „Öster- reichisch-Sowjetische Gesellschaft“ im Namen der ÖAW. Teilnehmer waren u.a. Rigobert Funke-Elbstadt (Bildender Künstler); Eduard Tratz (Zoologe), Otto Friedländer (Schriftsteller, Publizist) und Wilhelm Marinelli (Zoologe).] 99 Mit Ausnahme von eigens zur Vorführung präparierten Musterlagern. Vgl. dazu Kapitel  6. 100 In ihrer Sammlung Der politische Witz berichten Milo Dor und Reinhard Federmann über die Verbreitung eines ganz ähnlichen Witzes: „Bezeichnend für die befreiende Wirkung des Wit- zes ist der Umstand, daß die Unterdrückten in verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zei- Das Reise-Narrativ in Satire und Parodie 89
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Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Title
Diskurse des Kalten Krieges
Subtitle
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2017
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20380-3
Size
15.9 x 24.0 cm
Pages
742
Categories
Geschichte Nach 1918
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