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und gegen Russland feindlich gesinnten Staaten zu kommen. Das
unglückselige Verhältniss zu den Polen ändert in dieser Hinsicht
gar nichts. Die Polen — oder eigentlich der polnische Adel —
wollen, nachdem sie sich zu grossem Theil entslavisirt, weder die
Giltigkeit der vor Jahrhunderten vollzogenen Weltereignisse aner-
kennen, welche zum Theile auch von ihren Vorfahren verschuldet
worden waren, noch auch ohne Rückhalt sich mit den Russen aus-
söhnen, ausser es würden ihnen die letzteren die Herrschaft in
einem grossen Theile ursprünglich russischen Gebietes (die Grenzen
von 1772) abtreten und sich sonach selbst unterwerfen. Indem
sie die muthwillige Alternative aufstellen, dass entweder die „Mo-
skovitena oder die Polen nachgeben oder zu Grunde gehen müssen,
haben sie nicht das Recht zu klagen, dass die Russen, da sie nicht
untergehen wollen, den ihnen angebotenen Kampf auf Leben und
Tod annahmen und weiter führen. Für uns jedoch, die wir weder
Polen noch Russen, sondern die Freunde beider sind, ist jeder
Blick, jeder Gedanke an dieses gegenseitige Schwächen und Ver-
nichten der hervorragendsten slavischen Stämme äussetst beklagens-
werth, insbesondere mit Rücksicht auf unsere gemeinsamen Feinde,
welche von Tag zu Tag mehr erstarken. Deshalb mehren sich
auch in der neuesten Zeit die Beispiele gemässigter. Polen, welche
die Unvermeidlichkeit der Geschicke und das Bedürfniss gemein-
samer Selbsterhaltung in Erwägung ziehen. Geben wir uns der
Hoffnung hin, dass, bis nur der wahre Geist des Slaventhums beide
Parteien in höherem Masse als bisher beseelen wird, auch dieser
Krebsschaden ausgetilgt werden wird.
Der slavische Geist! Slavische Principien, was bedeutet das?
wodurch unterscheiden sie sich von germanischen, magyarischen
oder mongolischen Principien? Ich will sie keineswegs gelobt, son-
dern bloss die Wahrheit erkannt wissen. Die Slaven bethätigten
sich niemals und nirgend als eine eroberungssüchtige, kriegerische,
herrschsüchtige und unterjochende Nation. Sie führten allerdings
Kriege, sobald sie dazu genöthigt waren, und verstanden auch zu
siegen (wie z. B. die böhmischen Hussiten beinahe ganz Europa be-
siegt haben), allein die Unterjochung ihrer Nachbarn und Feinde hatten
sie niemals im Sinne. Ihr Hauptfehler war, dass sie allzusehr nach
Freiheit und Ungebundenheit trachteten und dass sie unter einander
es weder verstanden, die Notwendigkeit einer höhern Autorität
anzuerkennen, noch auch Zwisten und Streitigkeiten vorzubeugen.
Ist ja doch männiglich bekannt, auf welche Art das russische Reich
selbst im J. 862 entstand, wo die Slaven Herrscher aus der
Fremde beriefen, damit sie bei ihnen eine Ordnung schaffen, an
welcher allein es ihnen gefehlt haben soll. Hiedurch wurden Russ-
land gleich im Vorhinein die Principe der höheren Autorität,
aber auch der Herrschsucht und Eroberung, eingeimpft, welche
letzteren Principe ehemals bei den Römern, Mongolen und Deut-
schen zur höchsten Blüthe gelaugt waren. Es wundert mich, dass
die Deutschen diess gleich für eine Beleidigung ansehen, wenn man
sie mit den Römern, aber auch mit den Mongolen in Eine Linie
stellt und vergleicht. War ja doch Tschingischan nicht nur einer
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Palacký's Politisches Vermächtniss
- Title
- Palacký's Politisches Vermächtniss
- Author
- František Palacký
- Location
- Prag
- Date
- 1872
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 15.0 x 23.6 cm
- Pages
- 42
- Categories
- Dokumente Geschichte