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Armut als zentrales Problem für frühpädagogische Organisationen?
ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (2) S. 42-52
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In zweitem Fall übernimmt die Kindertageseinrichtung laut den Diskussionsteilnehmenden
stellvertretend für die Eltern die Kompensation der Armutslagen, z. B. auf der institutionellen Ebene,
bezogen auf den Ausgleich von Entwicklungsverzögerungen durch besondere Programme (etwa ein
einrichtungsübergreifendes Sportprogramm) oder über allgemeine Konzepte, im Sinne beispielsweise
regelmäßig stattfindender, kostenfreier Ausflüge sowie der Vollversorgung mit Essen. Damit ist die
Idee verbunden, Unterschiede hinsichtlich der materiellen Ausstattung der Kinder nicht sichtbar
werden zu lassen. Entsprechend der jeweiligen Problemdiagnosen der Fachkräfte verfügen diese, wie
u. a. im Vorschlag zur Verhütung anklang, über bereits fertig gedachte Lösungsstrategien. Die Idee der
Fachkräfte als Experten lässt sich insbesondere in den Erzählungen über Elterngespräche
nachzeichnen: Die Fachkräfte tragen ihre entwickelten Lösungsangebote an die Eltern als ausführende
Instanz heran, wobei sie ihre Problemdiagnosen in Bezug auf Armut als legitim gegenüber den Eltern
durchsetzen: „[…] wenn wir dann mit den Eltern ins Gespräch gehen und […] Lösungsvorschläge haben
oder Ideen anbringen, wie wir das Kind vielleicht unterstützen, wird es entweder nicht verstanden oder
an ihren Antworten ist bemerkbar, dass es keine Möglichkeiten gibt“ (Z. 36-38).
Die Idee des Expertenstatus steht im Zusammenhang mit dem unter den befragten Fachkräften
geteilten Verständnis ihres pädagogischen Auftrags und der bildungspolitisch geforderten Herstellung
von sogenannter „Schulfähigkeit“. Dabei scheint dies keine im Einzelfall begründete und
dementsprechend angepasste Umsetzung pädagogischer Praxis zu sein, sondern ein für alle Kinder
gleich anzustrebender Zustand, der nicht mit den Ideen der Eltern vermittelt ist. Vielmehr wird dieser
Auftrag genutzt, um die eigene Expertenrolle gegenüber den Eltern zu verdeutlichen und wirkmächtig
durchzusetzen: „Also ich hab der [Name2] dann einfach gesagt sie soll mit der Schulfähigkeit kommen,
das macht meistens Klick bei den Eltern dann, dass wenn das so weitergeht, ich keine Einschulung
sehe.“ (S. 871-873)
Theoretische Einordnungen und Diskussion der Ergebnisse
Im Anschluss an die bisher induktiv herausgearbeiteten Ergebnisse werden diese im Folgenden mit
zentralen Diskurslinien konfrontiert.
Das Sprechen über „würdige“ und „unwürdige“ Arme und das
Dethematisieren struktureller Ungleichheiten
Die rekonstruierten Differenzierungen der „kompensationsfähigen“ und „nicht-
kompensationsfähigen“ Familien korrespondieren eng mit den Diskursfiguren der
„unterstützungswürdigen“ und „unterstützungsunwürdigen“ Armen, welche sich unter der
Verbindung von Armut und Arbeit unter liberalen Rationalitäten im 16. Jh. formierten. Unterschieden
wurde entlang von Arbeitsfähigkeit und Arbeitswillen in sogenannte arbeitstaugliche, unfreiwillige
Arbeitslose, die gute, „würdige“ Arme darstellten und arbeitsuntaugliche, freiwillige Arbeitslose, also
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ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Volume Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Title
- ElFo
- Subtitle
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Volume
- Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Editor
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 77
- Categories
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge