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Armut als zentrales Problem für frühpädagogische Organisationen?
ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (2) S. 42-52
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zu tun, dass es unmöglich ist, diskriminierende und teilhabeverwehrende Verhältnisse zu bewältigen
(Bliemetsrieder & Fischer 2020).
Wir möchten uns auf der Ebene der Organisation für ein strukturelles Verständnis von Befähigung,
Verwirklichung und Entwicklung stark machen und damit Konzepte, welche Gerechtigkeit als
institutionelle und individualisierende Kompensationsleistung verstehen, kritisieren. Dazu könnte ein
verwirklichungs- und entwicklungsorientierter Blick auf Armut als normative Kritikfolie hilfreich sein.
Durch diese kann pädagogisches Handeln als Handeln in institutionellen und überinstitutionellen
pädagogischen Handlungsräumen verstanden werden und dabei ihren Gemeinwohlauftrag in den Blick
nehmen. Organisationen und Institutionen sind demnach dann eröffnend, wenn sie die individuellen
Freiheiten der von ihnen Adressierten zu vergrößern beabsichtigen und nicht nur Gleiche unter
Gleichen herstellen wollen (Sen, 2010). Dazu bedarf es eines ebenso ernsthaften
Verantwortungsbegriffs, welcher gleichzeitig über die Grenzen von Freiheiten informiert ist. Nach dem
Capability Approach (CA), der Armut als einen Mangel an Freiheiten definiert (Schneider, 2010, S. 17),
stellt sich die Frage, welche Lebensbedingungen und Aktivitäten von Adressierten realisiert werden
können und welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ein weitgehend selbstbestimmtes und
teilhabeförderndes Leben verwirklichen zu können (Schneider, 2010, S. 18). Jedoch bedarf der CA in
Bezug auf Kinder Ergänzungen und Spezifizierungen (Leßmann, Gutwald & Babic, 2014, S. 169) und
muss auch gegenwärtige Freiheiten der Kinder fokussieren (Babic, 2011, S. 82). Kinder brauchen
außerdem nicht nur Verwirklichungs-, sondern auch Entwicklungsräume (Schäfer-Walkmann & Störk-
Biber, 2013, S. 160).
Somit kann die normative Forderung weiterführend sein, dass jedes Kind Verwirklichungs- und
Entwicklungschancen für seine Körperlichkeit, Gesundheit, Bildung, förderlichen sozialen Netzwerke
und die Entwicklung von Selbstachtung und Selbstwert braucht (somatopsychosziale Integrität und
Selbstbestimmung). Dazu benötigen die Familien und die teilhabeversprechenden (Bildungs-)
Institutionen entsprechende Ressourcen und die Sozialräume förderliche und inkludierende
Strukturen (Schäfer-Walkmann & Störk-Biber, 2013, S. 174). Organisationsethik bedarf in diesem Sinne
Diskurse über befähigungs-, entwicklungs- und verwirklichungsorientierte Strukturen angesichts der
konkreten Lebenslagen der Kinder, welche über ihre Normativitäten informiert ist und diese im
Angesicht ihrer Adressaten und Adressatinnen explizit zu rechtfertigen wagt. Auf diese Weise würde
auch das in diesem Beitrag geforderte Professionsideal unterstützt werden.
Fazit / Ausblick
Der vorliegende Beitrag konnte anhand einer exemplarisch durchgeführten Pilotstudie aufzeigen, wie
das Sprechen über Armut und die Dethematisierung struktureller Benachteiligungen eher soziale
Ungleichheiten in frühpädagogischen Organisationen reproduziert anstatt diese abzubauen. Mit den
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ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Volume Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Title
- ElFo
- Subtitle
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Volume
- Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Editor
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 77
- Categories
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge