Page - 8 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Beim Erwachen fand sie eine Ansichtskarte auf dem Bette. Nur ein paar
Worte waren darauf, mit fester energischer Schrift hingeworfen, Worte, wie
man sie auch an Fremde verschenkt. Aber Erika empfand sie als Gabe und
Glück, weil er sie geschrieben hatte; ihr war es gegeben, aus dem
Geringfügigen und Unscheinbaren die Ahnungen der wirklichen Fülle sich zu
erschließen. Und so sollte ihr diese Liebe nicht nur wie ein milder Glanz
werden, der jedes Wesen umleuchtet und erhellt, sondern so tief sollte dieses
verklärende Gefühl sich verlieren, daß es wie ein Schimmer wurde, der in
innigem Durchglühen von innen emporzuwachsen schien aus allem Leblosen
und Unbeseelten. Schon von früher Jugend auf hatte das dunkle Gefühl ihres
Ängstlichseins und ihrer zurückhaltenden Einsamkeit sie gelehrt, die Dinge
nicht als kalt und leblos zu betrachten, sondern als verschwiegene Freunde,
die Geheimnisse und Zärtlichkeiten dem anvertrauen, der auf sie hört. Bücher
und Bilder, Landschaften und Musikstücke sprachen zu ihr, der das
dichterhafte Vermögen des Kindes geblieben war, in bemalten Körpern,
unbeseelten Dingen frohbewegte bunte Wirklichkeit zu sehen. Und das waren
ihre einsamen Feste und Seligkeiten, ehe die Liebe zu ihr gekommen war.
So wurden ihr auch die wenigen schwarzen Schriftzüge auf dem Blatte
Ereignis. Sie las die Worte so wie er sie zu sprechen pflegte, mit der weichen
und musikalischen Betonung seiner Stimme, sie suchte in ihren Namen den
heimlich-süßen Reiz zu legen, den nur die Sprache der Zärtlichkeit geben
kann. Und sie horchte in den wenigen Sätzen, die ihrer Angehörigen wegen in
kühler, fast respektvoller Form gehalten waren, den verborgen klingenden
Unterton der Liebe und buchstabierte sich so langsam und traumverloren
durch die Zeilen, daß sie beinahe ihren Inhalt wieder vergessen hätte. Und der
war nicht so unwichtig. Sie möchte ihm doch mitteilen, ob ihr geplanter
Sonntagsausflug zustande käme. Und noch ein paar unwichtige Worte wegen
ihres gemeinsamen Auftretens in einem längst besprochenen Konzert. Dann
ein freundlicher Gruß und eine hastige Unterschrift. Aber sie las die Zeilen
immer wieder und wieder, weil sie in ihnen die starke und drängende
Empfindung zu hören glaubte, die doch nur der Widerklang ihrer eigenen war.
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik