Page - 9 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Es war noch nicht lange her, daß diese Liebe zu Erika Ewald gekommen war
und den ersten Glanz in ihr blasses gleichgültiges Mädchenleben getragen
hatte. Und ihre Geschichte war still und alltäglich.
In einer Gesellschaft hatten sie sich kennen gelernt. Sie gab dort
Klavierstunden, aber ihre diskrete und feine Art gewann ihr so sehr die Liebe
des ganzen Hauses, daß sie nur mehr als Freundin betrachtet wurde. Und er
war dort zu einer Veranstaltung geladen, sozusagen als pièce de résistance,
denn sein Ruf als Geigenvirtuose war trotz seiner Jugend ein ganz
ungewöhnlicher.
Die Umstände erwiesen sich selbst als bereitwillig, um ihre Verständigung
zu unterstützen. Er wurde gebeten zu spielen, und es ergab sich als fast
selbstverständlich, daß sie die Begleitung übernehmen sollte. Und da wurde
er zuerst auf sie aufmerksam, denn sie ging mit soviel Verständnis auf seine
Intentionen ein, daß er sogleich die Feinheit und Innigkeit ihres Wesens ahnte.
Und noch mitten im stürmischen Applaus, der ihrem Vortrag folgte, machte er
ihr den Vorschlag, ein bißchen zusammen zu plaudern. Sie nickte leise, ganz
unmerklich leise.
Aber es kam nicht dazu. Man gab sie beide nicht so rasch frei, er konnte
nur ab und zu mit einem verstohlenen Blicke ihre überschlanke biegsame
Gestalt messen und einen schüchtern-staunenden Gruß ihrer dunklen Augen
auffangen. Ihre Worte gingen unter in Gewöhnlichkeiten und Höflichkeiten,
mit denen man sie überhäufte. Dann kamen wieder neue Menschen und
hunderterlei Ablenkungen anderer Art, daß sie beinahe die Verabredung
vergaß. Aber als alles vorüber war und sie sich empfahl, stand er plötzlich
neben ihr und fragte sie mit seiner sanften zurückhaltenden Stimme, ob er sie
nach Hause geleiten dürfe. Einen Augenblick war sie hilflos; dann lehnte sie
mit so ungeschickten Worten seine Mühe ab, daß er seinen Willen schließlich
leicht durchsetzen konnte.
Sie wohnte ziemlich weit draußen in der Vorstadt, und es war ein langer
Weg in der mondhellen kalten Winternacht. Eine Zeitlang blieb ein
Stillschweigen zwischen ihnen; es war dies keine Unbehilflichkeit, sondern
nur die unbestimmte Furcht, die feiner durchbildete Leute haben, eine
Unterhaltung mit Banalitäten zu beginnen. Dann begann er zu sprechen. Von
dem Musikstück, das sie gemeinsam gespielt hatten, und von der Kunst
überhaupt. Aber das war nur ein Anfang. Nur ein Weg zu ihrer Seele. Denn er
wußte, daß alle, die in der Kunst ihre letzten Schätze so königlich
verschwendeten, die ihr volles Gefühl in die musikalische Schönheit legten,
im Leben ernst und verschlossen waren und sich nur dem Verstehenden
offenbarten. Und sie gab ihm auch wirklich in ihren Ansichten über Schaffen
und Reproduzieren viel von ihren geheimen psychischen Erlebnissen, vieles,
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik