Page - 11 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Sie begegneten sich noch oft in diesem Winter. Zuerst war es ein günstiger
Zufall, der aber bald Verabredung wurde. Ihn reizte dieses interessante
Mädchen mit allen ihren Eigenarten und Seltsamkeiten, er bewunderte die
vornehme Zurückhaltung ihrer Seele, die sich nur ihm offenbarte und sich
zagend zu seinen Füßen warf wie ein erschrecktes Kind. Er liebte ihre
tausendfachen Feinheiten, die schlichte Gewalt des Empfindens, die jeder
Schönheit willenlos entgegenpulste und doch vor fremden Augen sich bergen
wollte, um sich die reine Innigkeit des Genusses nicht zu stören. Aber diese
zarten und innigen Empfindungen, die er so voll und hinreißend bei
jemandem mitempfinden konnte, waren ihm selbst fremd. Schon von Jugend
auf, noch ein halbes Kind, war er zu sehr von Frauen als Künstler verhätschelt
und verführt worden, um in einer vergeistigten Liebe Befriedigung zu finden;
er empfand zu wenig feminin, zu wenig jünglinghaft, weil die ganze
unverständige wunschlose Süße der Gymnasiastenliebe sich nie in sein
frühreifes Leben eingeschlichen hatte. Temperamentvoll und blasiert zugleich
liebte er mit jenem schroffen Begehren, das der letzten sinnlichen Erfüllung
zustrebt, um dort zu verbluten. Und er kannte sich selbst und verachtete sich
wegen jeder Schwäche, die ihn überwältigte, er empfand jede dieser raschen
Befriedigungen mit Ekel, ohne sich wehren zu können, denn
Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit durchbebten sein Leben wie seine
Kunst. Auch die Meisterschaft seines Spieles wurzelte in dieser festen,
temperamentvollen Männlichkeit; die letzten verhauchenden Nuancen, die
wie leise Atemzüge einer schlummernden Melancholie sind, mußten seiner
energischen und doch zigeunerhaft-süßen Bogenführung entgehen. Eine leise
Furcht stand immer versteckt hinter der packenden Gewalt, mit der er zu
überwältigen wußte.
Und so furchtsam und ergeben war auch ihre Liebe zu ihm. Sie liebte in
seiner Person alle ihre Traumgestalten, die in den langen Jahren des
Alleinseins eine gewisse Wirklichkeit gewonnen hatten, sie verehrte den
Künstler, der sich in seinem Wesen verkörperte, weil sie den mädchenhaften
Glauben hatte, daß ein Künstler auch in seiner Lebensführung die
priesterliche Würde verwirklichen müsse. Manchmal sah sie ihn mit einem
fremden und unsinnlichen Blick an wie ein seltsames Bild, in dem man
vertraute Züge empfinden will, und ihr Anvertrauen war wie zu einem
Beichtiger. Sie dachte nicht an das Leben, weil sie es nie gekannt hatte,
sondern es erlebt hatte wie einen haltlosen Traum. Darum fehlte ihr auch jede
Angst und jedes Bangen vor der Zukunft, sie glaubte an ein sanftes und
seliges Weiterklingen dieser unsinnlichen verehrenden Liebe, die sie
zuversichtlich machte mit ihrer künstlerischen Schönheit und innigen
Reinheit.
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik