Page - 13 - in Die Liebe der Erika Ewald
Image of the Page - 13 -
Text of the Page - 13 -
Am Samstag abend vor dem Ausfluge besuchte sie ihn wieder. Als sie
anklopfte, fühlte sie wieder jene merkwürdige Bangigkeit wie immer, wenn
sie zu ihm ging, und die sich immer mehr steigerte, bis er selbst mit ihr war.
Aber sie mußte nicht lange warten. Er öffnete rasch, geleitete sie in sein
Studienzimmer, nahm ihr mit vorsichtiger Galanterie die Frühlingsjacke ab
und streifte respektvoll mit den Lippen ihre schöne feingeäderte Hand. Und
dann setzten sie sich zusammen auf ein kleines dunkles Samtsofa, das bei
seinem Schreibtisch stand.
Es war schon düster im Zimmer. Draußen am Himmel verfolgten sich
graue Wolken hastig im Abendwind, und ihre Schatten trübten unruhig das
matte Dämmerlicht. Er fragte, ob er anzünden solle. Sie verneinte. Das matte
süße Licht, das nicht mehr erkennen und nur ahnen läßt, war ihr so lieb mit
seiner sanften Melancholie. Sie saß ganz still. Man konnte noch die
geschmackvolle Einrichtung des Zimmers deutlich wahrnehmen, den
prächtigen Schreibtisch mit einer Bronzestatue, rechts einen geschnitzten
Geigenständer, dessen Silhouette sich scharf von dem grauen Stück Himmel
abhob, das durch die Scheiben gleichgültig hereinblickte. Irgendwo tickte
eine Uhr mit schwerem abgemessenem Schlag, als sei es der harte Schritt der
mitleidslosen Zeit. Sonst war es still. Nur ein paar bläuliche Rauchstreifen
von seiner vergessenen Zigarette stiegen ebenmäßig in das Dunkel. Und
durch das geöffnete Fenster kam ein lauer Frühlingswind zu ihnen herein.
Sie plauderten. Zuerst war es ein Lächeln und Erzählen, aber ihre Worte
wurden immer schwerer im drohenden Dunkel. Er sprach von einer neuen
Komposition, einem Liebeslied, das sich an ein paar schlichte wehmütige
Volksliedstrophen anschmiegte, die er einmal in einem Dorfe gehört hatte. Ein
paar Mädchen waren es gewesen, die von der Arbeit kamen, ihre Stimmen
klangen weit von ferne, daß er die Worte nicht mehr verstand und nur die
leise, schweratmende Sehnsucht der Weise hörte. Und gestern war die
Melodie wieder in ihm erwacht, spät am Abend und war ihm ein Lied
geworden.
Sie sagte nichts, sondern sah ihn nur an. Und er verstand ihre Bitte.
Schweigend trat er zum Fenster hin und nahm seine Geige. Ganz leise begann
sein Lied.
Hinter ihm ward es langsam wieder hell. Die Abendwolken waren in Brand
geraten und glühten in purpurnem Glanz. Das Zimmer begann
widerzuleuchten von dem hellen Schein, der allmählich düsterer und
gesättigter wurde.
Er spielte das einsame Lied mit wundervoller Gewalt, er verlor sich selbst
in seinen Tönen. Und er verlor sein Lied und behielt nur die unendlich
13
back to the
book Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik