Page - 16 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Der Sonntagmorgen war ein wenig trübe und melancholisch gewesen. Ein
schwerer Frühnebel legte sein dichtmaschiges graues Netz über die Stadt und
ließ wie durch feine Ritzen ein leises Regenstieben auf die Straße
niederzittern. Aber bald begann es in dem dunklen Netz zu funkeln, als ob
sich eine schwere goldene Königskrone darin gefangen hätte, die immer
schimmernder und heller wurde. Und schließlich zerriß das trübe Gewebe
unter der lichten Last, und eine frische Frühlingssonne leuchtete herab und
spiegelte tausendfältig ihr junges Antlitz in den blanken Scheiben und nassen
Dächern, in den glitzernden Wassertümpeln, den sanft erglühenden
Kirchturmkuppeln und in den heiteren Blicken der auslugenden Leute.
Nachmittags war schon helles Sonntagstreiben in den Straßen. Die
vorüberrasselnden Wagen klapperten eine frohe Melodie, aber die Spatzen
wollten noch lauter sein und schrieen um die Wette von den
Telegraphendrähten herab, und dazwischen schrillten die Signale der
Straßenbahn in hellem Durcheinander. Eine breite Menschenflut drängte sich
auf den Hauptstraßen gegen die Peripherie zu wie ein dunkles Meer, aber ein
lichtes schimmerndes Blitzen war darin von weißen Frühlingskleidern und
hellen Farben, die sich zum ersten Male wieder ins Freie wagten. Und über
dem allen lag Sonne, eine warme, lichtflutende Frühlingssonne mit einem
blinkenden Leuchten.
Erika freute sich im Dahinschreiten, wie leicht und beseligt sie an seinem
Arm ging. Am liebsten hätte sie getanzt oder getollt wie ein Kind. Und ganz
kindlich und mädchenhaft war sie in ihrem einfachen glatten Kleide und dem
aufgesteckten Haar, das sonst tief und schwer wie eine wetterschwere Wolke
über der Stirne drohte. Und ihr Übermut war so überquellend und echt, daß er
auch seinen Ernst bald ins Wanken brachte.
Sie hatten ihren ursprünglichen Beschluß, in den Prater zu gehen, bald
aufgegeben, denn sie fürchteten den grellen stimmenlauten Sonntagstrubel,
der in die feierliche Stille des prächtigen Parkes bricht. Ihr Prater, das waren
die breiten wohlgepflegten Alleen mit den uralten Kastanienbäumen, die
weiten schweifenden Auen, die in dunklen Waldungen enden und die hellen
Wiesen, die sich in sattem Glanze sonnen und nichts mehr von der
Millionenstadt wissen, die in unmittelbarer Nähe atmet und stöhnt. Aber am
Feiertag verliert sich dieser Zauber und verbirgt sich vor den überströmenden
Scharen.
Er schlug vor, gegen Döbling zu zugehen, aber weit hinter den eigentlichen
netten Ort mit seinen freundlichen weißen Häuschen, die so kokett aus der
dunklen Umhüllung schmucker Gärten herausblitzen. Er wußte dort ein paar
stille und stimmungsvolle Wege, die durch schmale akazienblütenbeschneite
Alleen sanft in die weiten Felder hinüberführen. Und die gingen sie auch
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik