Page - 19 - in Die Liebe der Erika Ewald
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und froh sei, und das Blühen des Frühlings fühlte sie wieder und ihr eigenes
tanzendes Herz.
Als der Walzer zu Ende war, stand er auf und ging. Sie folgte ihm gern,
denn sie verstand sofort seine Absicht, sich die packende Gewalt der Melodie
und ihre sonnige Innigkeit nicht durch einen öden Gassenhauer zerstören zu
lassen. Und sie gingen den schönen Weg gegen die Stadt zu wieder zurück.
Die Sonne war schon gesunken, nur hinter den Kanten der Berge, durch die
goldumglühten Bäume sickerten feine Lichtbäche von seltsam rosiger
Färbung hinab ins Tal. Es war ein wundersamer Anblick. Ein rötliches
Leuchten stand am Himmel wie von einem fernen Brande, und tief unten über
der Stadt wölbte sich der Dunst in der intensiven Strahlenfärbung wie ein
purpurner Ball. Und alle Geräusche verklangen im Abend in sanfter
Harmonie: der ferne Gesang von heimkehrenden Ausflüglern, begleitet von
einer Harmonika, das immer lauter werdende helle Gezirp der Grillen und das
unbestimmte Sausen und Rauschen und Raunen, das in allen Blättern lebte, in
allen Ästen wisperte und selbst in der Luft zu surren schien.
Plötzlich, ganz unvermittelt, fielen ein paar Worte von ihm in ihr
feierliches, fast andächtiges Schweigen hinein: »Erika, das war doch komisch,
wie Sie der Wirt meine Braut nannte.«
Und dann ein Lachen, ein mühseliges gezwungenes Lachen.
Erika fuhr aus ihrer Träumerei. Was wollte er damit? Sie fühlte, daß er ein
Gespräch beginnen, erzwingen wollte. Sie hatte Furcht, eine dumme, sinnlose
dunkle Angst. Sie gab keine Antwort.
»Nicht, das war doch komisch? Und wie Sie rot geworden sind!«
Sie sah hinüber, um seinen Gesichtsausdruck zu betrachten. Wollte er sie
verspotten? – Nein! Er war ganz ernst und sah sie gar nicht an. Er hatte es
absichtslos gesagt. Aber er wollte eine Antwort haben. Jetzt fühlte sie erst,
wie gezwungen er das gesagt hatte; wie um einen Anfang zu machen. Es war
ihr so bange, und sie wußte nicht, warum. Aber etwas mußte sie sagen, er
wartete ja darauf.
»Mir war es weniger komisch als peinlich. Ich bin nun einmal so, daß ich
Scherze nicht recht verstehen kann.« Sie sagte es hart und abschließend, fast
wie gereizt.
Dann stellte sich wieder ein Schweigen zwischen beide. Aber es war keine
selige Stille vereinten Genießens mehr, wie früher, kein sympathetisches
Ahnen und Erfassen der ungeborenen Empfindung, sondern ein schweres und
dunkles Schweigen, das ein Verschweigen war von irgend etwas Drohendem
und Drängendem. Und sie hatte plötzlich Angst vor ihrer Liebe, daß sie auch
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik