Page - 23 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Langsam kamen sie wieder in die dunkle, tagesmĂŒde Stadt, und es war Erika,
als stiege sie von den leuchtenden Firnen eines seligen Traumes ins harte,
kalte und unerbittliche Leben nieder. Mit fremden und Àngstlichen Blicken
trat sie in die nebelfeuchten Vorstadtgassen, die vom hĂ€Ălichen und
aufdringlichen LĂ€rm und Dunst erfĂŒllt waren; und ein GefĂŒhl schmerzhafter
Ăde senkte sich auf sie herab. Sie fĂŒhlte sich bedrĂŒckt von den rauchigen
HĂ€usern, die sich dunkel ĂŒber ihr zueinander drĂ€ngten, ein finsteres Symbol
des Alltagslebens, das sich mit rĂŒcksichtsloser, drohender Gewalt in ihr
Schicksal preĂte, um es zu zermalmen.
Sie erschrak beinahe, als er sie plötzlich mit einem Liebeswort ansprach,
und sie erstaunte, daà sie die zÀrtlichen Minuten und ihr Versprechen beinahe
vergessen hatte. Wie fremd ihr alles hier plötzlich geworden war in dieser
dumpfen, beengenden Umgebung, was ihr frĂŒher die jĂ€he Impulsivkraft einer
Rauschstimmung entlockt hatte. Sie sah ihn an, ganz vorsichtig von der Seite.
Seine Stirne war kraftvoll gefaltet, und um den Mund lag die Ruhe eines
Selbstsicheren, alles war unbeugsame und selbstgefÀllige MÀnnlichkeit in
seinem Gesichtsausdruck. Nirgends die sanfte Melancholie, die sonst seine
KrÀfte in eine schöne Harmonie bannte, nur triumphierende HÀrte, die
vielleicht eine lauernde Sinnlichkeit war. Langsam wandte Erika den Blick. â
Noch nie war er ihr so fremd und so ferne gewesen wie in diesem
Augenblick.
Und plötzlich hatte sie Angst, tolle, unbÀndige Angst! Mit einem Male
wachten tausend erschreckte Stimmen in ihr auf, die warnten und lÀrmten und
sich selbst ĂŒberschrieen. Was sollte jetzt kommen? Sie fĂŒhlte es nur dunkel,
denn sie wagte es nicht auszudenken. Alles empörte sich in ihr gegen das
Versprechen, das ihr eine Minute der SchwĂ€che entrissen hatte, und ihre heiĂe
Scham brannte wie eine Wunde. Sie war nie sinnlich gewesen, das spĂŒrte sie
nun in allen Tiefen ihres Herzens, sie hatte kein Begehren nach einem Manne,
nur Abscheu vor der brutalen, zwingenden Macht. Nur Ekel empfand sie in
diesem Augenblick, und alles verfinsterte sich vor ihren Blicken und bekam
eine hĂ€Ăliche und niedrige Bedeutung; der leise Armdruck, den sie fĂŒhlte, die
Liebespaare, die im Nebel auftauchten und sich wieder verloren, jeder
zufĂ€llige Blick, der sie im VorĂŒbergehen traf. Deutlich und zornig klopfte ihr
Blut an den schmerzenden SchlÀfen.
Mit einem Male ward ihr die tiefe Schmerzlichkeit ihrer Liebe bewuĂt, die
unter den EnttĂ€uschungen bebte, wie unter zĂŒchtigenden SchlĂ€gen. Was
immer geschehen war, muĂte wieder Erlebnis werden. Die Sinnlichkeit des
Mannes mordete die sanfte Liebe des MĂ€dchens und ihre heiligsten Schauer.
Das GlĂŒck, das wie schimmernde Abendwolken ĂŒber dem Dunkel gehangen,
war nun zerbrochen, und die Nacht begann aufzusteigen schwarz und schwer
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, ErzÀhlung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik