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Die Liebe der Erika Ewald
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Langsam kamen sie wieder in die dunkle, tagesmĂŒde Stadt, und es war Erika, als stiege sie von den leuchtenden Firnen eines seligen Traumes ins harte, kalte und unerbittliche Leben nieder. Mit fremden und Ă€ngstlichen Blicken trat sie in die nebelfeuchten Vorstadtgassen, die vom hĂ€ĂŸlichen und aufdringlichen LĂ€rm und Dunst erfĂŒllt waren; und ein GefĂŒhl schmerzhafter Öde senkte sich auf sie herab. Sie fĂŒhlte sich bedrĂŒckt von den rauchigen HĂ€usern, die sich dunkel ĂŒber ihr zueinander drĂ€ngten, ein finsteres Symbol des Alltagslebens, das sich mit rĂŒcksichtsloser, drohender Gewalt in ihr Schicksal preßte, um es zu zermalmen. Sie erschrak beinahe, als er sie plötzlich mit einem Liebeswort ansprach, und sie erstaunte, daß sie die zĂ€rtlichen Minuten und ihr Versprechen beinahe vergessen hatte. Wie fremd ihr alles hier plötzlich geworden war in dieser dumpfen, beengenden Umgebung, was ihr frĂŒher die jĂ€he Impulsivkraft einer Rauschstimmung entlockt hatte. Sie sah ihn an, ganz vorsichtig von der Seite. Seine Stirne war kraftvoll gefaltet, und um den Mund lag die Ruhe eines Selbstsicheren, alles war unbeugsame und selbstgefĂ€llige MĂ€nnlichkeit in seinem Gesichtsausdruck. Nirgends die sanfte Melancholie, die sonst seine KrĂ€fte in eine schöne Harmonie bannte, nur triumphierende HĂ€rte, die vielleicht eine lauernde Sinnlichkeit war. Langsam wandte Erika den Blick. – Noch nie war er ihr so fremd und so ferne gewesen wie in diesem Augenblick. Und plötzlich hatte sie Angst, tolle, unbĂ€ndige Angst! Mit einem Male wachten tausend erschreckte Stimmen in ihr auf, die warnten und lĂ€rmten und sich selbst ĂŒberschrieen. Was sollte jetzt kommen? Sie fĂŒhlte es nur dunkel, denn sie wagte es nicht auszudenken. Alles empörte sich in ihr gegen das Versprechen, das ihr eine Minute der SchwĂ€che entrissen hatte, und ihre heiße Scham brannte wie eine Wunde. Sie war nie sinnlich gewesen, das spĂŒrte sie nun in allen Tiefen ihres Herzens, sie hatte kein Begehren nach einem Manne, nur Abscheu vor der brutalen, zwingenden Macht. Nur Ekel empfand sie in diesem Augenblick, und alles verfinsterte sich vor ihren Blicken und bekam eine hĂ€ĂŸliche und niedrige Bedeutung; der leise Armdruck, den sie fĂŒhlte, die Liebespaare, die im Nebel auftauchten und sich wieder verloren, jeder zufĂ€llige Blick, der sie im VorĂŒbergehen traf. Deutlich und zornig klopfte ihr Blut an den schmerzenden SchlĂ€fen. Mit einem Male ward ihr die tiefe Schmerzlichkeit ihrer Liebe bewußt, die unter den EnttĂ€uschungen bebte, wie unter zĂŒchtigenden SchlĂ€gen. Was immer geschehen war, mußte wieder Erlebnis werden. Die Sinnlichkeit des Mannes mordete die sanfte Liebe des MĂ€dchens und ihre heiligsten Schauer. Das GlĂŒck, das wie schimmernde Abendwolken ĂŒber dem Dunkel gehangen, war nun zerbrochen, und die Nacht begann aufzusteigen schwarz und schwer 23
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, ErzÀhlung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern ĂŒber dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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