Page - 24 - in Die Liebe der Erika Ewald
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mit drohender, leidvoller Stille und unbarmherzigem Schweigen… .
Ihre Füße wollten kaum weiter. Sie merkte, daß er den Weg gegen seine
Wohnung nahm, und dieses Bewußtsein betäubte sie. Sie wollte ihm alles
sagen: wie ihre Liebe ganz anders sei als die seine, wie sie nur das
Versprechen gegeben im Banne einer Stimmung, der ihr nervöses Empfinden
unterlegen, und wie sich alles in ihr aufbäume gegen diese vorbesprochene
Liebesszene. Aber die Worte fanden keine Laute, nur finstere und drängende
Empfindungen, die ihre Seele quälten und marterten, ohne sie zu befreien.
Dunkle und bange Erinnerungen streiften sie wie mit schwarzschattenden
Schwingen. Und eine kam immer wieder, eine seltsame und doch so
alltägliche Geschichte von einem Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen
war. Die hatte sich einem Manne hingegeben, und als er sie verließ, aus
Rache und Zorn einem andern und dann wiederum andern – sie wußte selbst
nicht mehr, warum. Und Erika erschauerte immer, wenn sie an dieses
Mädchen dachte, durch deren Leben die Liebe gegangen war wie ein dunkler
Wettersturm; und das gewaltsame Widerstreben in ihr war mehr als die erste
Scham eines unbefleckten Mädchens, das vor dem unbekannten Geschehen
bangt, es war die schöne Schwäche einer zarten und schwächlich-scheuen
Seele, die das laute Leben fürchtet und seine brutale Häßlichkeit.
Aber das Schweigen blieb kalt und scheidend zwischen den beiden, die
nebeneinander hergingen, Arm in Arm. Gern wollte Erika den ihren
losmachen, aber es war, als hätten ihre Glieder jede Bewegungsfähigkeit
verloren, nur die Füße schoben sich in traumhafter Gleichförmigkeit
nach vorwärts. Und ihre Gedanken wurden immer wirrer und schossen
durcheinander wie glühende Pfeile, die sich mit feinen brennenden
Widerhaken in ihrem Gehirn festbohrten. Und darüber legte sich immer
dichter die schwarze Wolke der kraftlosen Furcht und der verzweifelten
Ergebung. Ein Gebet wagte sich immer wieder auf ihre Lippen, daß jetzt
plötzlich alles vorbei sein sollte, ein großes, dunkles, schmerzloses Nichts, ein
Nichtfühlen und Nichtmehrdenkenmüssen, ein Aufhören, jäh und
unvermittelt, wie das Erwachen, das aus einem bösen Traum befreit… ..
Plötzlich blieb er stehen.
Sie fuhr auf und erschrak. Sie waren vor dem Hause, in dem er wohnte.
Eine Minute blieb ihr Herz ohne Schlag, ruhig, ganz unbeweglich. Aber dann
begann es wieder zu pochen, hastig und wild, mit hämmernder Angst und
steigender Schnelligkeit.
Er sagte ihr ein paar Worte, liebe süße Worte. Sie hatte ihn beinahe wieder
gern in diesem Augenblick, so herzlich und feinfühlig sprach er zu ihr. Aber
als er ihren Arm fester erfaßte und ihren widerstandslosen Körper mit sanfter
Zärtlichkeit drängte, da kam wieder die alte dunkle Angst, und sie war
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik