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Die Liebe der Erika Ewald
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mit drohender, leidvoller Stille und unbarmherzigem Schweigen… . Ihre Füße wollten kaum weiter. Sie merkte, daß er den Weg gegen seine Wohnung nahm, und dieses Bewußtsein betäubte sie. Sie wollte ihm alles sagen: wie ihre Liebe ganz anders sei als die seine, wie sie nur das Versprechen gegeben im Banne einer Stimmung, der ihr nervöses Empfinden unterlegen, und wie sich alles in ihr aufbäume gegen diese vorbesprochene Liebesszene. Aber die Worte fanden keine Laute, nur finstere und drängende Empfindungen, die ihre Seele quälten und marterten, ohne sie zu befreien. Dunkle und bange Erinnerungen streiften sie wie mit schwarzschattenden Schwingen. Und eine kam immer wieder, eine seltsame und doch so alltägliche Geschichte von einem Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen war. Die hatte sich einem Manne hingegeben, und als er sie verließ, aus Rache und Zorn einem andern und dann wiederum andern – sie wußte selbst nicht mehr, warum. Und Erika erschauerte immer, wenn sie an dieses Mädchen dachte, durch deren Leben die Liebe gegangen war wie ein dunkler Wettersturm; und das gewaltsame Widerstreben in ihr war mehr als die erste Scham eines unbefleckten Mädchens, das vor dem unbekannten Geschehen bangt, es war die schöne Schwäche einer zarten und schwächlich-scheuen Seele, die das laute Leben fürchtet und seine brutale Häßlichkeit. Aber das Schweigen blieb kalt und scheidend zwischen den beiden, die nebeneinander hergingen, Arm in Arm. Gern wollte Erika den ihren losmachen, aber es war, als hätten ihre Glieder jede Bewegungsfähigkeit verloren, nur die Füße schoben sich in traumhafter Gleichförmigkeit nach vorwärts. Und ihre Gedanken wurden immer wirrer und schossen durcheinander wie glühende Pfeile, die sich mit feinen brennenden Widerhaken in ihrem Gehirn festbohrten. Und darüber legte sich immer dichter die schwarze Wolke der kraftlosen Furcht und der verzweifelten Ergebung. Ein Gebet wagte sich immer wieder auf ihre Lippen, daß jetzt plötzlich alles vorbei sein sollte, ein großes, dunkles, schmerzloses Nichts, ein Nichtfühlen und Nichtmehrdenkenmüssen, ein Aufhören, jäh und unvermittelt, wie das Erwachen, das aus einem bösen Traum befreit… .. Plötzlich blieb er stehen. Sie fuhr auf und erschrak. Sie waren vor dem Hause, in dem er wohnte. Eine Minute blieb ihr Herz ohne Schlag, ruhig, ganz unbeweglich. Aber dann begann es wieder zu pochen, hastig und wild, mit hämmernder Angst und steigender Schnelligkeit. Er sagte ihr ein paar Worte, liebe süße Worte. Sie hatte ihn beinahe wieder gern in diesem Augenblick, so herzlich und feinfühlig sprach er zu ihr. Aber als er ihren Arm fester erfaßte und ihren widerstandslosen Körper mit sanfter Zärtlichkeit drängte, da kam wieder die alte dunkle Angst, und sie war 24
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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