Page - 34 - in Die Liebe der Erika Ewald
Image of the Page - 34 -
Text of the Page - 34 -
Erika war eine der ersten im großen, mit tausend Lichtern flimmernden
Konzertsaale. Eine sehnsüchtige Unruhe, die Minuten zu Stunden dehnte,
hatte sie seit Tagesanbruch erfüllt und durchschauert, seit jener Stunde, da der
Gedanke, daß sich heute alles begeben müsse, ihr den Schlaf von den Lidern
riß. Und dann war sie alle die Stunden durch Traumland gegangen, ob auch
die einzelnen Forderungen ihres Berufes sie immer wieder aufschrecken
ließen aus ihren sinnenden Erwartungen und ihrer sanftruhenden Sehnsucht.
Und als der Abend kam, nahm sie ihr bestes Gewand und legte es mit einer
gewissen feierlichen Sorgfalt an, die nur Frauen haben, wenn sie den Blick
des Geliebten erwarten. Eine Stunde zu früh begab sie sich zum Konzertsaal.
Wohl hatte sie zuerst einen Spaziergang geplant, ein kurzes Rasten für ihre
Nerven, die zu fiebern schienen, aber kaum daß sie die Straße betrat, fühlte
sie eine dunkle Gewalt, die sie magnetisch einer Richtung zudrängte. Ihre
anfangs bedächtigen Schritte wurden unruhiger und beschleunigter. Und mit
einem Male stand sie, fast selbst überrascht, vor den breiten Stufen des
Konzertgebäudes und schämte sich ihrer Unrast. Gedankenlos ging sie noch
ein wenig dort auf und ab. Und als die ersten Wagen behäbig vorrasselten,
mühte sie sich nicht mehr länger, sich zu bezwingen und ging mit beherzter
Miene in den eben erleuchteten Saal.
Nicht lange blieb drinnen dieses breite und leere Schweigen, das zu
fürchtigen Träumen lud. Dichter und dichter drängten sich die Leute. Erika
sah nicht die einzelnen, sondern fühlte nur die hereinströmende Masse, fühlte
vor ihren Augen die wandernden Streifen der farbigen Toiletten, das dunkle
Durcheinanderschieben und die vielen wechselnden Gesichter, die ihr wie
Masken schienen. Alles in ihr war Unrast und Erwartung. In ihren Augen
stand nur ein Name, ein Wunsch, ein Wort.
Und dann plötzlich begann das jähaufrauschende Murmeln und Bewegen,
die vorbereitende Unruhe vor dem Schweigen, das leise Knacken der
geöffneten Operngläser, das Klappern der Lorgnons, das Regen und
Bewegen, jenes vieltönige Geräusch, das sich in stürmischen Beifall löste. Sie
fühlte, daß er eingetreten war, jetzt eingetreten war. Und schloß die Augen.
Sie wußte sich zu schwach, ihn in dieser stolzen Minute schweigend zu sehen.
Sie hätte ja jubeln müssen oder ihn rufen, aufspringen oder ihm zuwinken,
aber jedesfalls etwas Törichtes, Unüberlegtes, Lächerliches tun. Ihr Herz
fühlte sie bis an die Kehle schlagen. Sie wartete. Sie wartete, mit
geschlossenen Augen alles sehend, wie er hinaufschritt, wie er sich verneigte
und jetzt, – jetzt mußte es ja sein – zum Bogen griff. Sie harrte, bis endlich
die ersten Töne seiner Geige sich singend erhoben wie langsam steigende
Lerchen, die aus den Feldern zum Himmel aufjubeln.
Dann schaute sie empor, leise, ganz vorsichtig, wie man in ein sehr grelles
34
back to the
book Die Liebe der Erika Ewald"
Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik