Page - 39 - in Die Liebe der Erika Ewald
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und der glühende brennende Haß, die blinde Sucht nach Rache. Wie fremd sie
sich doch geworden war, daß sie sich nicht einmal selbst mehr erkannte, wie
schlecht und wie wertlos!
Ihr fröstelte. Sie wollte an nichts mehr denken. Sie ging wieder tiefer in die
Stadt hinein … irgend wohin … . nach Hause zu… … Nein – nicht nach
Hause! Mit Furcht dachte sie daran. Dort war alles so finster und eng und
dumpf, dort lauerten in allen Ecken Erinnerungen, die mit hämischen Fingern
auf sie deuteten, dort war sie dann ganz allein mit ihrem großen Schmerz, dort
konnte er seine schwarzen Flügel dicht ausbreiten, sie umfassen und eng,
ganz eng an sie pressen, daß ihr der Atem verginge.
Aber wohin? Wohin? Die Frage zermarterte ihr das Hirn. Sie wußte nichts
anderes mehr, ihr ganzes Denken konzentrierte sich in dieses eine Wort. –
Neben ihr lief ein Schatten.
Sie achtete nicht darauf.
Sie merkte es auch nicht, als er sich hart gegen den ihren neigte und mit
ihm eine Zeitlang parallel lief. Jemand ging neben ihr, ein Freiwilliger, und
betrachtete ihr Gesicht angelegentlich in dem Momente, als sie vor einer
Laterne vorbeikamen. Erst wie er sie höflich ansprach, fuhr sie jäh aus ihren
Gedanken auf. Sie brauchte einige Momente, um die Situation, in der sie sich
befand, erst recht zu erfassen und antwortete nicht.
Der Freiwillige, ein Kavallerist, sehr jung noch und ein bißchen
ungeschickt, ließ sich durch ihr Schweigen nicht einschüchtern, sondern
redete in einem halb vertraulichen Ton, aber mit einer gewissen Reserve
weiter. Offenbar war er mit sich nicht recht im klaren, mit wem er es
eigentlich zu tun hätte; sie hatte ihm nicht geantwortet und war doch so
vornehm – solid gekleidet. Und andererseits wieder dieses einsame langsame
Spazierengehen spät in der Nacht – ganz recht bekam er’s nicht heraus. Aber
er redete unbekümmert weiter.
Erika schwieg. Instinktiv hatte sie ihn abweisen wollen, aber alle Dinge
von früher hatten sie auf seltsame Gedanken gebracht. Sie wollte doch jetzt
ein anderes Leben beginnen, nicht mehr dieses traumvolle Dahindämmern
und müßige Sichsehnen, das ihr tausend Leiden geboren, es sollte ja für sie
ein neues Leben beginnen, heiß verwegen und voll wilder Gewalt. Und dann
dachte sie wieder an ihn – eine Rache wollte sie nehmen, eine furchtbare
Schmach. Dem ersten besten, der gekommen, wollte sie sich verschenken;
weil er sie verschmäht, die Erniedrigung auskosten bis zum letzten bittersten
und vielleicht tödlichen Tropfen. Alles wurde rasch in ihr Plan und Entschluß,
eine grausame Selbstpeinigung, die eine neue Schmach wählt, um die alte
brennende zu vergessen … . wie sie zurecht kam, die Gelegenheit … . ein
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik