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Die Liebe der Erika Ewald
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Diese wenigen Wochen umgrenzten das Leben der Erika Ewald. In ihnen lag alles beschlossen, was sie erlebte, und die vielen späteren Tage gingen an ihr vorüber, gleichgültig wie Fremde. Ihr Vater starb, die Schwester heiratete einen Beamten, Verwandte und Freunde trugen Glück und Unglück, nur in ihre einsamen Stunden ließ sie das Schicksal nicht mehr ein. Ihr konnte das Leben nichts mehr anhaben mit seiner stürmischen Gewalt; die tiefe Wahrheit war ihr bewußt geworden, daß der große heilige Friede, um den sie gerungen, nicht anders errungen wird, als durch einen tiefen läuternden Schmerz, daß es kein Glück gebe für den, der nicht den Weg der Leiden gegangen ist. Aber diese Weisheit, die sie dem Leben abgezwungen, blieb nicht kalt und unfruchtbar; die Fähigkeit zur spendenden Liebe, die einst ihr Wesen in heißen Konvulsionen erschüttert, zog sie nun zu den Kindern hin, die sie Musik lehrte und denen sie vom Schicksal und seinen Tücken erzählte, wie von einem Menschen, vor dem man sich hüten muß. Und so gingen ihre Monate, Tag für Tag dahin. Und wenn der Frühling ins Land kam und warmer segnender Sommer, dann überströmten auch ihre Abende von inniger Schönheit… . Sie saß dann am Klavier beim offenen Fenster. Von außen zitterte ein feiner würziger Duft herein, wie ihn der erste Frühling bringt, und das Brausen der Großstadt war fern wie ein Meer, das seine stürmischen Fluten gegen die weißen Gestade wirft. Im Zimmer trällerte der Kanarienvogel die lustigsten Läufe, und draußen vom Gang hörte man die Knaben des Nachbars mit ihren tollen, übermütigen Spielen. Wenn sie aber zu spielen begann, dann wurde es draußen still; leise, ganz leise ging dann die Tür auf, und ein Knabenkopf nach dem anderen schob sich herein, um andächtig zu horchen. Und Erika fand wehmütige Melodieen mit ihren weißen schmalen Fingern, die immer heller und durchleuchtender zu werden schienen, dazwischen leise Phantasieen, bei denen verhallte Erinnerungen anklangen. Und einmal, als sie so spielte, kam ihr ein Motiv, dessen sie sich nicht entsinnen konnte. Und sie spielte es immer wieder, bis sie es jählings erkannte; das Volkslied, die wehmütige Liebesweise, mit der er sein Liebeslied begonnen… .. Da ließ sie die Finger sinken und träumte wieder von der Vergangenheit. Ganz ohne Groll und Neid waren ihre Gedanken. Wer weiß, ob es nicht das Beste gewesen, daß sie sich damals nicht gefunden… . Und ob sie sich vertragen? Wer kann es wissen?… … . Aber … .. – sie schämte sich beinahe des Gedankens – ein Kind hätte sie gerne von ihm gehabt, ein schönes goldlockiges Kind, das sie hätte wiegen und warten können, wenn sie allein war, ganz einsam war… … . 44
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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