Page - 51 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Bis zum Abend irrte er so unstet in träumerischem Verlorensein. Er sann über
nichts mehr nach. Nicht über Vergangenes und nicht über das Unabwendbare.
Er spielte nicht mehr mit dem Todesgedanken, so wie man wohl noch in den
letzten Augenblicken den funkelnden, mit tiefem Auge drohenden Revolver
prüfend in der wägenden Hand hebt und wieder senkt. Längst hatte er sich das
Urteil gesprochen. Nur Bilder kamen noch, in flüchtigem Fluge, gleich
ziehenden Schwalben. Zuerst die Jugendtage bis zu einer verhängnisvollen
Schulstunde, da ihn ein törichtes Abenteuer aus einer verführerisch
winkenden Zukunft jählings in das Gewirre der Welt stieß. Dann die rastlosen
Fahrten, Mühen um den Taglohn, Versuche, die immer wieder mißglückten,
bis die große finstere Welle, die man Schicksal nennt, seinen Stolz zerbrach
und ihn an einen unwürdigen Posten warf. Viele farbige Erinnerungen
wirbelten vorüber. Und schließlich glänzte noch die sanfte Spiegelung dieser
letzten Tage aus den wachen Träumen; und jählings stießen sie wieder das
dunkle Tor der Wirklichkeit auf, das er durchschreiten mußte. Er besann sich,
daß er noch heute sterben wollte.
Eine Weile sann er über die vielen Wege, die zum Tode führen, und wägte
ihre Bitterkeit und Behendigkeit gegeneinander ab. Bis ihn plötzlich ein
Gedanke durchzuckte. Aus trüben Sinnen fiel ihm jäh ein finsteres Symbol
ein: so wie sie unwissend und vernichtend über sein Schicksal
hinweggebraust war, so sollte sie auch seinen Körper zermalmen. Sie selbst
sollte es vollbringen. Sie selbst ihr Werk vollenden. Und nun hasteten die
Gedanken mit unheimlicher Sicherheit. In einer knappen Stunde, um acht Uhr
ging der Expreß ab, der sie ihm entführte. Dem wollte er sich unter die Räder
werfen, sich zerstampfen lassen von der gleichen stürmenden Gewalt, die ihm
die Frau seiner Träume entriß. Unter ihren Füßen wollte er verbluten. Die
Gedanken stürmten und stürmten gleichsam jubelnd einander nach. Er wußte
auch den Ort. Weiter oben am Waldhang, wo die rauschenden Wipfel den
letzten Blick auf die nahe Bucht verdunkelten. Er sah auf die Uhr: fast
schlugen die Sekunden und sein hämmerndes Blut den gleichen Takt. Es war
schon Zeit, sich auf den Weg zu machen. Nun kam mit einem Male Elastizität
und Zielsicherheit in seine schlaffen Schritte, jener harte eilige Takt, der das
Träumen im Vorwärtswandeln ertötet. Unruhig stürmte er in die dämmernde
Pracht des südlichen Abends der Stelle zu, wo zwischen den fernen
bewaldeten Hügeln der Himmel eingebettet war als purpurner Streif. Und er
eilte vorwärts, bis er an das Geleise kam, das mit seinen beiden silbernen
Linien vor ihm aufglänzte und seinen Weg geleitete. Und sie führten ihn in
gewundenem Zuge aufwärts durch die tiefen duftenden Tale, deren dunstige
Schleier das matte Mondlicht durchsilberte, sie lenkten ihn im steigenden
Gange in das Hügelland, wo man sah, wie ferne das weite nachtschwarze
Meer mit seinen funkelnden Strandlichtern aufglänzte. Und sie zeigten ihm
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik