Page - 65 - in Die Liebe der Erika Ewald
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anvertrauen zu wollen. Aber in dieser Minute hat sich mein ganzes Leben
gewandelt, und heut wie damals fühle ich, daß nur Gottes Gnade solches
wirken kann. Ich warf ihr Geld hin, das sie widerwillig nahm, weil sie
fürchtete, daß ich sie verachte, und nannte mich einen deutschen Narren. Ich
aber hörte nicht mehr, sondern stürmte fort in die kalte Regennacht und schrie
wie ein Verzweifelter in die dunklen Kanäle hinaus nach einer Gondel.
Endlich kam eine, die sich ihre Fahrt mit Gold aufwiegen ließ, aber mein
Herz pochte in einer so jähen, unbarmherzigen und unbegreiflichen Angst,
daß ich an nichts anderes dachte als an den Brief, den mir ein Wunder so
jählings wieder in Erinnerung gebracht. Als ich bei der Schenke angelangte,
brach die Begierde nach diesen Zeilen aus wie ein zehrendes Fieber; ein
Rasender stürmte ich jäh in die Schenke, ohne der freudig-erstaunten Rufe
meiner Genossen zu achten, sprang auf einen gläserklirrenden Tisch, riß den
Brief von der Wand und rannte weiter, ohne das tolle Hohnlachen und zornige
Fluchen hinter mir zu beachten. An der nächsten Ecke entfaltete ich den Brief
mit zitternden Händen. Der Regen strömte nieder vom verwölkten Himmel,
und der Wind riß an dem Blatt in meiner Hand. Ich ließ aber nicht früher ab,
als bis ich mit überquellenden Augen alles entziffert hatte. Es waren nicht viel
der Worte: meine Mutter sei zum Sterben krank, und ich möchte nach Hause
kommen. Kein Wort des Tadels und Vorwurfs wie sonst. Aber wie brannte
mein Herz in tiefster Scham, als ich sah, daß des Degens Klinge mitten durch
meiner Mutter Namen gestoßen war… ..«
»Ein Wunder, ein offenbarliches Wunderzeichen, nicht allem Volke
verständlich, aber wohl dem, für den es erstanden,« murmelte der Maler, als
der Erzähler tiefbewegt in Schweigen versunken war. Eine Zeitlang gingen sie
wieder wortlos nebeneinander her. Fernüber leuchtete schon das prächtige
Haus des Kaufherrn ihnen entgegen. Als der Kaufherr aufblickend es
bemerkte, fuhr er hastig fort.
»Laßt mich kurz sein, laßt mich Euch verschweigen, in welchem Schmerz
und reuevollem Wahnsinn ich diese Nacht verlebte. Laßt Euch nur sagen, daß
mich der nächste Morgen knieend auf den Stufen der Markuskirche fand, wo
ich in brünstigem Gebete der Muttergottes einen Altar gelobte, wenn sie mir
vergönnen wollte, meiner Mutter Gruß und Verzeihung zu erlangen. Am
selben Tage reiste ich ab, reiste Stunden und Tage der Verzweiflung und
Angst nach Antwerpen, stürmte wild und verzweifelt zu meiner Eltern Haus.
Vor dem Tore stand meine Mutter, gealtert und blaß, doch wohlauf. Als sie
mich sah, breitete sie mir jubelnd die Arme entgegen, und ich weinte vieler
Tage Sorge und vieler vergeudeter Nächte Schmach an ihrem Herzen aus.
Mein Leben ist seitdem ein anderes geworden, ich darf beinah sagen ein
gutes. Das Liebste, das ich hatte, jenen Brief, habe ich eingesargt in den
Grundstein dieses Hauses, das meiner Hände Arbeit geschaffen hat, und mein
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik