Page - 68 - in Die Liebe der Erika Ewald
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aus dem derbdeutschen, kantigen Gesichte entgegenblauten. Der hatte noch
ein entgegnendes Wort auf den Lippen, verschluckte es aber mutig und faßte
mit festem Drucke die dargebotene Hand. In innig verstehenden Gefühlen
schieden die beiden.
Der Maler ging langsam den Hafen entlang, wie es stets seine Gewohnheit
war, wenn ihn nicht die Arbeit an seine Stube fesselte. Er liebte dieses wilde
farbenreiche Bild, darin die Arbeit ungebrochen pulste, und manchmal setzte
er sich auf einen Taupflock nieder, um irgend eines Schaffenden seltsame
Körperbiegung nachzubilden und der schwierigen Kunst der Verkürzungen
ein fußbreit Weges abzuringen. Ihn störte nicht der laute Ruf der Schiffer, das
Rasseln der Wagen und das Meer, das sich mit seinem gleichtönigen lallenden
Geschwätze an die Ufer warf, ihm waren jene Blicke gegeben, die zwar nicht
leuchten vom Abglanz innerer selbstgeschauter Bilder, die aber in allem
Lebenden, so gleichgültig es auch sich gebärden mag, jenen Strahl erkennen,
der ein Kunstwerk zu erleuchten vermag. Darum ging er auch immer ins
Leben, wo es sich am farbigsten ausstrahlte und verwirrende Fülle
wechselnder Reize ausatmete; zwischen dem Matrosenvolk streifte er mit
langsamen Schritten und suchendem Auge, ohne daß ihn jemand zu verlachen
wagte, denn unter dem vielen lärmenden unnützen Volk, das ein Hafen
ansammelt, so wie der Strand die tauben Muscheln und zerbröckelndes
Gestein, fiel er durch sein stilles Gebaren und die Ehrwürdigkeit seiner
Mienen auf.
Diesmal aber stand er bald von seiner Suche ab. Des Kaufherrn Geschichte
hatte ihn im Tiefsten berührt, weil sie leise auch an ein eigenes Schicksal
gestreift, und selbst der Kunst sonst so hingebender Zauber versagte heute
seinen Dienst. Über allen Frauenantlitzen, und ob sie auch nur plumpe
Fischergestalten waren, leuchtete der milde Glanz des Muttergottesbildes von
des jungen Meisters Hand. Unschlüssig wandelte er in träumerischen
Gedanken eine Zeitlang dem sonntäglich geputzten Getriebe entlang; dann
aber mühte er sich nicht mehr, dem sehnsüchtigen Drange zu widerstehen,
und durch das dunkle Netz der winkeligen Gassen suchte er wieder zur
Kirche zurück zu jener milden Frau wundersamem Konterfei.
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik