Page - 69 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Einige Wochen gingen seit jener Unterredung dahin, in welcher der Maler
seinem Freunde die Vollendung des Bildes für den Altar der Gottesmutter
zugesagt hatte, und noch immer blickte die unberührte Leinwand
vorwurfsvoll den alten Meister an, der sie beinahe zu fürchten begann und die
Stunden immer lieber auf der Straße zubrachte, um nicht die grausame
Mahnung und den schweigenden Vorwurf seiner Mutlosigkeit fühlen zu
müssen. In diesem Leben regsamer Arbeit, das vielleicht sogar zu viel gewirkt
hatte, um prüfend in sich selbst zu schauen, war seit jenem Tag, da der Maler
des jungen Meisters Bild erblickt, eine Wendung geschehen; Zukunft und
Vergangenheit waren jählings aufgerissen und blickten ihn an, wie ein leerer
Spiegel, in den nur Dunkelheit und Schatten strömen. Und nichts
Furchtbareres gibt es, als den Schauer eines Lebens, das schon auf dem
letzten Grat seines Aufstieges aufblickt, vom mutvollen Schreiten und dann
von sinnender Angst befallen, es habe den Fehlweg eingeschlagen, die Kraft
verliert, die letzten leichtesten Fußtapfen nach vorwärts zu machen. Mit
einem Mal schien dem Maler, der in seinem Leben schon hundert und
aberhundert frommer Darbildungen gemalt, die Fähigkeit zerronnen, eines
Menschen Angesicht würdig zu gestalten, daß es ihm selbst so schiene, als sei
es göttlichen Wesens würdig. Er hatte Frauen gesucht, solche, die ihr Antlitz
verkauften für die Stunde der Nachbildung, solche, die ihren Leib verkauften,
Bürgersfrauen und sanfte Mädchen, deren Gesicht überleuchtet war vom
durchglühenden Schimmer innerer Reinheit; aber stets, wenn sie nahe vor ihm
standen und er den Pinsel ansetzen wollte zum ersten Strich, da fühlte er ihre
Menschlichkeit. Er sah die blonde gefräßige Behäbigkeit in der einen, die
wilde verhaltene Gier, sich im Liebeskampfe auszutoben, in der andern, er
fühlte die leere Glätte hinter den kurzen glänzenden Mädchenstirnen und
erschrak beim plumpen Schritt und bei der verbuhlten Hüftenbiegung der
Dirnen. Und die Welt ward ihm mit einem Male so öde, alle diese Menschen,
die er um sich sah: der Atem der Göttlichkeit schien ihm ausgelöscht,
überwuchert von dem blühenden Fleische dieser begehrlichen Frauen, die
nichts mehr wußten von dem mystischen Magdtum und den sanften Schauern
unbefleckter Hingebung an die Träume einer andern Welt. Er schämte sich,
die Mappen aufzuschlagen, die sein eigenes Werk enthielten, denn ihm
schien, als hätte er sich selbst wie von der Erde entfernt und sei sündig
gewesen, indem er plumpe Bauern zu Blutzeugen des Heilands und grasse
Weiber zu seinen Dienerinnen erwählt. Dumpfer und drückender wölkte sich
diese Stimmung über ihn herab. Er sah sich als jungen Knecht hinter seines
Vaters hartem Pfluge gehen, lange bevor er zur Kunst entlief, mit harten
Bauernhänden die Egge in die schwarze Erde stoßen und fragte sich, ob er
nicht besser getan, gelbes Korn zu säen und Kindern wohlgehüteten Bestand
zu wahren, als mit plumpen Fingern an Geheimnissen und Wunderzeichen
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik