Page - 70 - in Die Liebe der Erika Ewald
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zu rütteln, die nicht für ihn geschaffen. Sein ganzes Leben schien ihm in den
Fugen zu wanken, emporgekeilt durch die flüchtige Erkenntnis einer Stunde,
durch ein Bild, das seine Träume durchschwebte und seiner wachen Minuten
Folter und Seligkeit war. Denn es war ihm nicht mehr möglich, die
Muttergottes in seinen Gebeten anders zu empfinden, als sie auf jenem Bilde
war, welches so holdseliges Konterfei bot und doch so abgewandt war von
der Schönheit aller irdischen Frauen, die ihm begegnet, so verklärt in dem
Scheine fraulicher Demut mit göttlicher Ahnung. Aller Frauen Bild, die er
geliebt, verfloß in dem trügerischen Dämmer der Erinnerung in die
wundersame Hülle dieser Gestalt. Und als er sich mühte, zum ersten Male,
nicht dem Wirklichen abzulauschen, sondern eine Muttergottes nach dem
Phantasiebilde zu schaffen, das ihn durchschwebte, Maria mit dem Kinde,
sanft lächelnd und in froher ungetrübter Seligkeit, da sanken seine Finger, die
den Pinsel führen wollten, kraftlos nieder, wie vom Krampf gelähmt. Denn
der Strom versiegte, die Fertigkeit der Finger, des Auges Worte zu sprechen
schien hilflos gegenüber jenem hellen Traum, den er mit seinem inneren Blick
so deutlich sah, als sei er aufgemalt auf einer starren Wand. Wie ein Feuer
brannte dieser Schmerz der Unfähigkeit, den schönsten und treuesten seiner
Träume in die Wirklichkeit tragen zu können, wenn die Wirklichkeit nicht
selbst aus ihrer Fülle eine Brücke bot. Und er stellte sich die bange Frage, ob
er sich selbst noch Künstler nennen dürfe, da ihm solches geschah und ob er
sein Leben lang nicht nur ein mühsam bildender Handwerker gewesen sei, der
nur Farben nebeneinander gefügt, wie ein Kärrner die Steine zu einem Bau.
Solche selbstquälerische Betrachtung ließ ihn keinen Tag ruhen und trieb
ihn mit zwingender Gewalt aus seiner Stube, wo ihn die leere Leinwand und
die sorgsam bereiteten Utensilien wie höhnische Stimmen verfolgten.
Mehrmals wollte er dem Kaufherrn seine Not beichten, aber er fürchtete, daß
dieser zwar fromme und auch wohlgesinnte Mann ihn nie ganz verstehen
könnte und eher an eine ungeschickte Ausflucht werde glauben wollen, als
seine Unfähigkeit, ein solches Werk zu beginnen, wie er sie schon in großer
Zahl und zum allgemeinen Beifall der Meister und Laien vollendet hatte. Und
so irrte er gewöhnlich ratlos und rastlos in den Straßen umher, geheim
erschreckend, wie ihn der Zufall oder eine verborgene Magie aus seinen
wandelnden Träumen immer wieder vor jener Kirche erwachen ließ,
gleichsam als binde ihn ein unsichtbares Band an dieses Bild oder eine
göttliche Kraft, die seine Seele selbst im Traume regiere. Manchmal trat er
ein, mit der geheimen Hoffnung, daß er Makel und Fehl entdecken könne und
so der zwingende Zauber gebrochen sei; vor dem Bilde aber vergaß er
gänzlich des jungen Meisters Schöpfung neidlich nach Kunst und Handwerk
zu messen, sondern er fühlte es wie Schwingen um sich rauschen, die ihn
auftrugen in Sphären sanfteren und verklärteren Genießens und Anschauens.
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik