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Die Liebe der Erika Ewald
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ginge. Alle Bitternis war verloschen in seinem Angesicht, das so milde und begütigend durchleuchtet war, daß die spielenden Kinder aufstaunten und ihn fürchtig grüßten, weil sie einen Priester in ihm zu sehen meinten. Er ging und ging, ohne an Ziel und Ende zu denken, denn in seinen Gliedern drängte der neue Frühlingstrieb, wie in alten verknisterten Bäumen die Blüten bittend an den haltenden Bast klopfen, daß er ihre junge Kraft aufschießen lasse ins Licht. Sein Schritt war froh und leicht wie der eines Jünglings; frischer und lebendiger schien er zu werden, obgleich der Weg schon Stunden währte, und rascher geschmeidiger Takt maß die rasch zurückgelegten Strecken. Plötzlich hielt der Maler wie versteinert inne und fuhr sich mit der Hand schützend über die Augen, wie einer, den ein blitzender Strahl verletzt oder ein schrecksames und unglaubliches Ereignis. Aufschauend zum sonneüberleuchteten Schein eines Fensters hatte er den vollen Strahl des zurückspiegelnden Lichtes schmerzhaft in den Augen gefühlt, aber durch jenen Nebel von Purpur und Gold war eine seltsame Erscheinung, ein wunderbares Trugbild auf dem wirrenden Scharlachschleier erschienen: die Madonna jenes jungen Meisters, träumerisch und leise schmerzlich zurückgelehnt, wie auf jenem Bild. Ein Schauer überlief ihn, die grausame Angst der Enttäuschung vereint mit jenem selig zitternden Rausch eines Begnadeten, dem die wundersame Vision der Gottesmutter nicht im Dunkel eines Traumes, sondern in Tageshelle erschienen, ein Wunder, das viele bezeugten und wenige wirklich erschaut hatten. Noch wagte er den Blick nicht zu erheben, weil er sich nicht stark genug fühlte, um den niederschmetternden Augenblick unseliger Entscheidung auf seinen zitternden Schultern tragen zu können, weil er fürchtete, daß diese eine Sekunde sein Leben noch grimmiger zerstampfen könnte, als die unerbittliche Selbstqual seines verzagten Herzens. Erst als seine Pulse langsamer und ruhiger gingen und er nicht mehr schmerzvoll ihren Hammerschlag in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden, zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das verführerische Bild gesehn. Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint. Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig, und um den Mund legte sich ein 72
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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