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zu teilen. Und leise, um ein paar Matrosen, die am Nebentische, schon ein
wenig betrunken, vor sich hingröhlten, nicht aufmerksam zu machen, sprach
er sein Anliegen aus. Er erzählte ihm in fliegenden, aber innerlich bewegten
Worten von dem Wunderzeichen, das ihm erschienen und bat schlieĂźlich den
Wirt, der erstaunt zuhörte und sich anscheinend bemühte, mit seinem
langsamen, vom Wein verqualmten Fassungsvermögen dem Maler zu folgen,
– er möge gestatten, daß ihm seine Tochter als Folie eines Marienbildes diene.
Er vergaß nicht zu erwähnen, daß durch die gegebene Verstattung auch der
Vater teilhaftig werde an dem gottesfĂĽrchtigen Werk und merkte wiederholt
an, daĂź er bereit sei, den Dienst in barem Gelde zu vergĂĽten.
Der Wirt antwortete nicht gleich, aber er wĂĽhlte mit seinem dicken Finger
unablässig in den breiten, aufgeblähten Nasenlöchern. Endlich begann er.
»Ihr müßt mich nicht für einen schlechten Christen halten, bei Gott nicht,
aber das Ding ist nicht so einfach, wie ihr denkt. Denn wäre ich der Vater und
könnte zu meinem Kind sagen, geh hin und tu so, wie ich dir’s befehle, ich
sag’ Euch, unser Handel wäre schon erledigt. Mit diesem Kind ist’s aber eine
eigene Sache… .. Donnerwetter, was gibt’s denn dort!«
Er war aufgesprungen, in hellem Zorn, denn er lieĂź sich ungern in der Rede
stören. Am andern Tische hämmerte einer wie toll mit dem leeren Krug auf
der Bank und begehrte neue FĂĽllung. Unwirsch riĂź ihm der Wirt den Humpen
aus der Hand und besorgte mit unterdrĂĽcktem Fluch die frische Ladung.
Gleichzeitig nahm er auch ein Glas und die Flasche mit, stellte sie zum Tisch
des Gastes und schenkte beide Gläser voll. Mit einem Ruck war das seine
hinabgespĂĽlt, und wie erfrischt wischte er sich den struppigen Schnauzbart ab
und begann.
»Ich will Euch sagen, wie ich zu der Judendirne kam. Ich war Soldat, in
Italien drunten und dann in Deutschland. Ein schlechtes Handwerk sag’ ich
Euch, nie schlechter als heute und damals. Ich hatt’s auch über und wollt’
eben durch Deutschland nach Hause ziehn und ein ehrbares Handwerk
ergreifen, denn geblieben war mir just nicht viel; Beutegeld rinnt zwischen
den Fingern durch, und Knauser war ich nie gewesen. Da kam’s in einer
deutschen Stadt; ich war just dort, als sich eines Abends ein großes Getöse
erhob. Warum, weiĂź ich nicht mehr, doch das Volk hatte sich
zusammengerottet, die Juden zu erschlagen, und ich zog mit, verlockt von der
Hoffnung, etwas zu erhaschen, auch aus Neugierde, was geschehen möchte.
Es ging toll zu, man stürmte, mordete, raubte, schändete, und die Kerle
brüllten vor Lust und Begierde. Bald hatt’ ich’s satt und riß mich aus dem
Haufen, denn mein ehrliches Kampfschwert mocht’ ich nicht mit Weiberblut
besudeln und mit Dirnen nicht um Beute streiten. Da, in einer Nebengasse,
durch die ich heim will, springt ein alter Jude mit langem, zitterndem Bart
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik