Page - 75 - in Die Liebe der Erika Ewald
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und verstörtem Gesicht, im Arm ein kleines vom Schlaf aufgeschrecktes
Kind, auf mich zu und stottert eine Flut kauderwelscher Worte. Alles, was ich
von seinem Judendeutsch verstand, war, daß er mir viel Geld bot, wenn ich
sie beide retten wollte. Mir tat das Kind recht leid, das mich erschreckt mit
seinen großen Augen anstarrte, der Handel schien nicht übel, so warf ich ihm
meinen Mantel über und führte sie in mein Quartier. Ein paar blieben stehn
auf den Gassen und zeigten nicht übel Lust, auf den Alten loszugehen, aber
ich hatte mein Schwert blank und so ließen sie die beiden ungeschoren. Ich
brachte sie zu mir, und weil mich der Alte auf den Knieen beschwor, verließ
ich noch am selben Abend die Stadt, in der Brand und Mord bis spät in die
Nacht wütete. Weit am Wege sahen wir noch den Feuerschein, in den der Alte
verzweifelt starrte, während das Kind ruhig weiter schlief. Lang blieben wir
drei nicht zusammen: der Alte wurde nach wenigen Tagen auf den Tod krank
und starb auf der Reise. Zuvor gab er mir noch alles Geld, das er bei seiner
Flucht zusammengerafft hatte und ein beschriebenes Blatt in seltsamen
Lettern, das ich in Antwerpen bei einem Makler abgeben sollte, dessen
Namen er mir nannte. Sein Enkelkind befahl er mir noch sterbend an. Ich zog
hierher und wies die Schriftzeichen vor, die seltsam wirkten: der Makler gab
mir eine stattliche Summe Geldes, mehr als ich erwartet hatte. Ich war dessen
froh, denn meines Wanderlebens wurde ich so frei, kaufte mir das Haus und
diese Schenke, und der tollen Kriegszeit hab’ ich bald vergessen. Das Kind
behielt ich: es tat mir leid, dann hofft’ ich auch, sie würde, wenn sie
heranwachse, mir altem Hagestolz das Haus besorgen. Doch das kam anders.
»Wie Ihr sie jetzt gesehn, so ist ihr ganzer Tag. Sie gafft zum Fenster in die
Luft hinaus, spricht niemand an und gibt nur scheue Antwort, gleichsam
geduckt, als ob sie einer schlagen wollte. Mit Männern spricht sie nie.
Anfangs dacht’ ich, sie würde hier in meiner Schenke helfen und so mir
manchen Gast anlocken, wie es drüben des Wirten junge Tochter tut, die mit
den Gästen scherzt und sie anfeuert, daß sich ein Glas nach dem andern leert.
Doch die ist zimperlich: faßt sie mal einer an, so schreit sie auf und saust zur
Tür hinaus wie ein Wirbelwind. Und suche ich sie dann, so sitzt sie sicherlich
irgendwo in einem Winkel zusammengeknäult und heult, daß einem das Herz
brechen könnte und man dächte, es sei ihr, weiß Gott was für Leid geschehn.
Ein sonderbares Volk!«
»Und sagt,« unterbrach der Maler den Erzählenden, der immer
nachdenklicher in seiner Rede zu werden schien, »ist sie noch Jüdin oder
schon zum Glauben bekehrt?«
Der Wirt kratzte sich verlegen den Kopf. »Wißt Ihr,« hub er dann an, »ich
war ein Soldat und weiß von meinem Christentum selber nicht viel. Selten
war ich in der Kirche und bin’s auch jetzt nicht, so sehr mich’s reut; und um
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik