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Die Liebe der Erika Ewald
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Augen schaute: »Willst du dich nicht einen Augenblick zu mir setzen.« Das Mädchen sah ihn erstaunt an, im tiefsten überrascht durch diesen tiefen Glockenton der Milde und geklärten Liebe, der ihr zum ersten Mal aus dem verräucherten Dunkel der Schenke entgegenschlug. Und sie fühlte die Milde seiner Hände und die zärtliche Güte seiner Augen mit dem süßschauernden Erschrecken derer, die Wochen und Jahre nach Zärtlichkeit hungern und sie eines Tages mit staunender Seele empfangen. Ihres toten Großvaters Bild erstand jäh in ihrem inneren Blick, als sie dieschneeige Milde dieses Hauptes umfaßte, und vergessene Glocken schlugen an in ihrem Herzen und schlugen so laut und jubelnd durch alle Adern und bis in die Kehle hinauf, daß sie kein Wort der Antwort wußte. Sie errötete nur und nickte heftig, fast wie im Zorn, so eckig und hart in der plötzlichen Bewegung. Bangend und erwartend folgte sie ihm an seinen Platz und setzte sich halb an seine Seite, ohne die Bank recht zu berühren. Der Maler beugte sich zärtlich zu ihr nieder, ohne zu sprechen. Vor dem klaren Blick des alten Mannes glühte jäh die Tragödie der Einsamkeit und stolzen Fremdheit auf, die so früh schon in diesem Kinde kämpfte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und ihr einen segnenden, beruhigenden Kuß auf die Stirne gedrückt, aber er fürchtete sie zu erschrecken und fürchtete die Augen der andern, die einander lachend die seltsame Gruppe zeigten. Er verstand dieses Kind so ganz, ohne ein Wort von seinen Lippen zu wissen, und ein brennendes Mitleid stieg in ihm empor, wie eine heiße strömende Flut, denn er kannte die Schmerzlichkeit jenes Trotzes, die nur so hart und jähzornig und drohend ist, weil er Liebe ist, eine große und unfaßbare Fülle der Liebe, die sich verschenken will und sich verstoßen fühlt. Sanft fragte er sie: »Wie heißt du, Kind?« Sie sah vertrauend, aber verwirrt zu ihm auf. Noch war ihr alles zu seltsam, zu fremd. Und ein schüchternes Zittern lag in ihrer Stimme, als sie leise und sich halb abwendend sagte »Esther.« Der alte Mann aber fühlte dennoch, daß sie Vertrauen zu ihm hege, es nur noch nicht zu zeigen wage. Und sanft begann er: »Ich bin ein Maler, Esther, und ich will dich malen. Es wird dir nichts Übles geschehen, und du wirst manches Schöne bei mir sehen und manchmal werden wir vielleicht zusammen sprechen, wie gute Freunde. Nur eine oder zwei Stunden wird es jeden Tag dauern, so lange, als es dir behagt. Willst du zu mir kommen, Esther?« Das Mädchen wurde noch röter und wußte nicht zu antworten. Dunkle Rätsel taten sich plötzlich vor ihr auf, zu denen sie keine Wege fand. Schließlich sah sie mit einem unruhig fragenden Blick den Wirt an, der 77
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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