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Die Liebe der Erika Ewald
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seine Brust und umklammerte ihn schluchzend und stöhnend. Nie brannte größere Qual in ihr, als in den verzweifelten Worten, die sie weinte und schrie. »Ich muß es wieder haben, das Kind, mein Kind. Ich kann nicht anders leben, es ist ja das einzige kleine Glück, das man mir stiehlt. Warum wollt Ihr mir es nehmen?… . Ich war schlecht gegen Euch, aber verzeiht und laßt mir das Kind. Wo ist es? Sagt es mir! Sagt es mir! Ich muß es wieder haben… ..« Ihre Worte verschlugen sich in ein tonloses Schluchzen. Tieferschüttert beugte sich der alte Mann über sie herab, die in langsam erschlaffendem Krampfe weinend seine Brust umklammerte und tiefer und tiefer herabsank wie eine ersterbende Blüte. Sanft strich er über dieses lange, dunkle, gelöste Haar. »Sei klug, Esther! Und weine nicht. Das Kind ist fort, aber… .« »Es ist nicht wahr, nein, es ist nicht wahr,« fuhr sie empor. »Es ist wahr, Esther. Seine Mutter hat das Land verlassen. Die Zeiten sind schwer für die Fremden und die Ketzer, aber auch für die Fürchtigen und Treuen. Nach Frankreich sind sie oder nach England. Aber warum willst du verzagen … . sei doch klug, Esther … .. warte ein paar Tage … . es wird alles wieder gut werden… « »Ich kann nicht, ich kann nicht,« röchelte ihr irres Weinen. »Warum hat man mir das Kind genommen… . Ich hatte doch sonst nichts … . ich muß es wieder haben … . ich muß, ich muß… .. Es hatte mich gern, es war das einzige Wesen, das mir, das ganz zu mir gehörte … . wie soll ich jetzt leben… . Sagt mir doch, wo es ist, sagt mir… .« Klagen und Schluchzen flossen zusammen in ein wirres und verzweifeltes Reden, das immer leiser und sinnloser wurde und schließlich in ein stumpfes Weinen verquoll. Wie wirre Blitze zuckten die Gedanken durch dieses zermarterte Gehirn, das nicht Klarheit und Ruhe gewinnen konnte; alle Empfindung und Betrachtung schwang in wahnsinnig kreisender Drehung um diese eine schmerzhafte Idee, die nicht loszureißen war aus ihren Reden, sondern mitschwang und mitkreiste, rastlos mit unbarmherziger wirbelnder Kraft. Das unendliche stumme Meer ihrer suchenden Liebe rauschte empor als verzweifelter und lauter Schmerz. Und die Worte strömten wirr und heiß nieder, wie tropfendes und quellendes Blut aus einer Wunde, die sich nicht schließen will. Verzagt schwieg der alte Mann, der versucht hatte, diesen Schmerz mit sanften Worten zu stillen. Die elementare Gewalt dieser Leidenschaft und ihre finstere Glut schienen ihm stärker, als alle Kraft der Begütigung. Er wartete und wartete. Manchmal schien der aufschäumende Strom zu stocken und die Erregung sich zu mildern, aber immer und immer stieß ein Schluchzen verlorene Worte empor, die halb Schrei und halb Weinen waren. Eine reiche und blühende Seele verblutete in diesem Schmerz. 100
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Die Liebe der Erika Ewald
Title
Die Liebe der Erika Ewald
Author
Stefan Zweig
Date
1904
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
114
Keywords
Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Die Liebe der Erika Ewald 5
  2. Der Stern über dem Walde 46
  3. Die Wanderung 56
  4. Die Wunder des Lebens 61
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