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bewaffneten Bürgern das Abendmahl reichten. Spanische Soldaten waren
überfallen worden, und beim Sange der Genfer Psalmen sollten Kirchen
gestürmt worden sein. Noch war alles dies unverbürgt, aber man fühlte das
heimliche Flackern eines werdenden Brandes, und der bewaffnete
Widerstand, den die Besonnenen in ihren Stuben bei heimlicher Beratung
planten, artete in jähen Trotz und Unbotmäßigkeit aus bei den vielen, die
nichts zu verlieren hatten.
Der Festtag hatte jene erste schmutzige Welle nach Antwerpen gespült,
jenen heillosen Pöbel, der nie geeint ist und sich nur bei Revolten plötzlich
zusammenrottet. Finstere Gestalten, die niemand kannte, tauchten mit einem
Male in den Schenken auf, fluchten und drohten wild den Spaniern und den
Pfaffen. Aus den Winkeln und verrufenen Gäßchen quoll seltsames
tagscheues Volk mit trotzigem und gereiztem Gebaren. Die Händel mehrten
sich. Ab und zu gab es kleine Zusammenstöße, aber sie griffen nicht über in
die allgemeine Erregung, sondern erloschen wie einsam aufzischende Funken.
Noch hielt der Prinz von Oranien strenge Zucht und überwachte dieses
habgierige zanksüchtige und böswillige Gesindel, das nur um des Gewinnes
willen mit den Protestanten gleiche Sache machte.
Die große und prunkvolle Feierlichkeit der Prozession reizte nur den
Grimm der unterdrückten Instinkte. Zum ersten Mal mischten sich derbe
Scherzworte in den Sang der Gläubigen, blinde Drohungen flatterten auf und
höhnisches Lachen. Manche sangen den Text des Geusenliedes auf die
fromme Melodie, ein junger Bursch ahmte zum Gaudium seiner Genossen mit
quäkender Stimme den Prediger nach, andere grüßten das Bildnis mit koketter
Hutschwenkung, wie eine geminnte Dame. Die Soldaten und die wenigen
Gläubigen, die sich zur Feier gewagt hatten, waren machtlos und mußten mit
verbissenen Zähnen den Spott ertragen, der immer übermütiger wurde. Und
immer ungebärdiger wurde das ungezügelte Volk, seitdem das Bewußtsein
seiner trotzigen Kraft erwacht war. Fast alle schon gingen in Waffen. Und der
finstere Wille, der sich jetzt nur in Flüchen und wuchtigen Drohungen Bahn
brach, begehrte nach Taten. Wie eine Gewitterwolke lastete diese drohende
Unruhe am festlichen Tage und an den folgenden über der Stadt.
Die Frauen und die Besorgteren unter den Männern hüteten seit den
ärgerlichen und gefahrdrohenden Szenen bei der Prozession das Haus. Dem
Pöbel und den Protestanten gehörte die Straße nunmehr allein. Auch Esther
war daheim geblieben in den letzten Tagen. Aber sie wußte von all diesen
Stürmen und Geschehnissen nichts. Sie merkte dumpf, daß sich mehr und
mehr in der Schenke die Menschen drängten, daß sich kreischende
Dirnenstimmen in den erregten Chor der streitenden und fluchenden Männer
mischten, sie sah rings verstörte Frauengesichter und heimlich tuschelnde
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik