Page - 110 - in Die Liebe der Erika Ewald
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Schelme stolzierten in reichbestickten Bischofstogen, eine kreischende Dirne
trug in ihrem wirren schmutzigen Haar einer Statue goldenen Heiligenreif.
Diebe tranken sich Wein zu aus den heiligen Gefäßen, und am großen Altar
kämpften zwei mit blinkenden Messern um eine edelsteingeschmückte
Monstranze. Dirnen tanzten geile und trunkene Tänze vor den Heiligtümern,
Trunkene spieen in die Weihebecken, Zornige zerschmetterten mit ihren
blinkenden Äxten, gleichgültig, was es traf, vor sich hin. Das Lärmen schwoll
in ein Chaos polternder Laute und kreischender Stimmen; wie ein ekler und
dichter Pestdunst qualmte das Toben empor zu den schwarzen Höhen, die
finster auf das springende Leuchten der Fackeln herabblickten und
unbeweglich, unerreichbar schienen fĂĽr diesen verzweifelten Menschenhohn.
Esther hatte sich halb ohnmächtig in den Schatten des Altars versteckt. Ihr
war, als müsse dies alles geträumt sein und plötzlich verschwinden, wie ein
trügerischer Spuk. Aber schon stürmten die ersten Fackeln in die Seitengänge.
Gestalten, die in fanatischer Leidenschaft bebten, wie im Rausche, sprangen
über die Gitter oder zerhieben sie mit dröhnenden Streichen, stürzten die
Statuen und rissen die Bilder von den Schreinen. Dolche blitzten wie feurige
Schlangen im zuckenden Fackellicht und zerbissen zornig Schränke und
Bilder, die mit zerschmetterten Rahmen zu Boden sausten. Näher und näher
taumelte die Schar mit ihren qualmenden, zuckenden Leuchten. Esther blieb
atemlos und preßte sich tiefer ins Dunkel. Ihr Herz hörte auf zu schlagen vor
Angst und quälender Erwartung. Noch wußte sie nicht recht, die
Geschehnisse zu deuten und fühlte nur Furcht, jähe unbändige Furcht. Ein
paar Schritte kamen heran. Und ein stämmiger wüster Kerl zerhieb mit einem
Schlage das Gitter.
Schon glaubte sie sich entdeckt. Aber erst im nächsten Augenblicke
erkannte sie die Absicht der Eingedrungenen, als am Nebenaltare eine Statue
der Madonna mit gellem Todesschrei zersplittert zu Boden sank. Die Angst
wurde in ihr wach, man wolle auch ihr Bild, ihr Kind vernichten, und sie
wurde GewiĂźheit, als Bild um Bild, im unsichern Fackelschein unter Jubel
und Hohn herabgezerrt, zerstoĂźen und zertreten wurde. Ihr ganzes Denken
strömte brausend zusammen in die furchtbare blitzartig aufzuckende Idee,
man wolle das Bild ermorden, das in ihren wirren Träumen längst eines war
mit ihrem eigenen lebendigen Kinde. In einer Sekunde flammte alles auf wie
in blendendes Licht getaucht. Ein Gedanke, der Gedanke all ihrer Tage,
tausendfach gedacht in diesem einen Augenblicke, entzĂĽndete ihr Herz: Das
Kind zu retten, ihr Kind. Und in dieser Sekunde umfingen sich in ihr Traum
und Wirklichkeit mit verzweifelter Inbrunst. Schon stĂĽrmten die zelotischen
Zerstörer auf den Altar zu. Eine Axt flog hoch auf in der Luft – und in diesem
Augenblicke verlor sie alles wache Besinnen und sprang schĂĽtzend mit
ausgebreiteten Armen vor das Bild… .
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Die Liebe der Erika Ewald
- Title
- Die Liebe der Erika Ewald
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1904
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 114
- Keywords
- Literatur, Liebe, Erzählung, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik