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Marke Harley Davidson mit ihrem speziellen „Sound“. Doch bald regte sich das
Verlangen, auch unterwegs Schutz gegen Regen, Kälte und Wind über dem
Kopf zu haben. So sparte man auf ein Vehikel mit vier Rädern und einem Dach –
der Autoboom begann, der Platz auf der Straße wurde enger und das Erspä-
hen eines Parkplatzes zum Volkssport.
Die Zahl der privaten Pkws war 1940 in Wien überschaubar und der Besitz
eines eigenen Autos galt als enormer Luxus, der nur Reichen vorbehalten war.
Ich kann mich noch an den legendären Steyr 120 und 220 erinnern („Schildkröte“),
an den Steyr-Baby, und auch an den VW-Käfer, eine Konstruktion vom Öster-
reicher Ferdinand Porsche. Die Begriffe Parkplatzmangel oder –suche exis-
tierten noch nicht. Die Heizung war meist mehr als bescheiden, ein Fahren
im Winter „nur für harte Männer“, denn nicht nur im Auto war die Temperatur
unter Null, auch die Scheiben vereisten ständig. Im Sommer war es hingegen,
„unterstützt“ von der Motorwärme, in einem Pkw extrem heiß.
In diesen Jahren existierten in Österreich und in der Ostmark mehrere Firmen,
die Autobusse erzeugten. Der Komfort war eher bescheiden: Das Innere dieser
Gefährte war vom Geruch des Dieselöls erfüllt, was bei vielen Passagieren zu
Übelkeit führte, das persönliche Gespräch konnte kaum den Lärm des rund
130 PS starken Motors übertönen und die harten Federn wie die kaum gepols-
terten Sitze übertrugen die Schläge der meist nur geschotterten (Makadam-)
Fahrbahn voll auf das Kreuz der Fahrgäste. Schon bei rund 50 km/h vibrierte
der gesamte Fahrgastraum. Eine längere Fahrt war eine richtige körperliche
Strapaze – man entstieg gerädert dem Vehikel. Die Koffer wurden auf dem
Dach befördert. Zu diesem Zweck hatte der Lenker ein starkes Seil mit einem
Haken, mithilfe dessen Stück für Stück auf das Dach gehievt wurde. Zur Abde-
ckung gegen Staub und Regen diente eine steife Plane.
Gegen Kriegsende wurde ein generelles Geschwindigkeitslimit von 30 km/h
für Autobusse erlassen, ab dieser Geschwindigkeit leuchtete am Tachometer
ein rotes Licht als Signal für den Fahrer auf.
Die Lastwägen waren wenig komfortabel. Servoeinrichtungen waren unbe-
kannt und das Lenken eines schweren Lastfahrzeuges war Schwer(st)arbeit,
wobei noch der enorme Motorenlärm, die Vibrationen, der Dieselgestank und
die Hitze dazu kamen. Die Gänge waren nicht synchronisiert und vor allem das
Hinunterschalten war eine Probe für Gefühl, Gehör und Geduld, oft mit „Zäh-
neputzen“4 verbunden.
4 Als „Zähneputzen“ wird scherzhaft das nicht ganz reibungslose Einrasten der Zahnräder im Ge-
triebe eines Motors bezeichnet.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115