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Fensterscheiben. Deshalb haben wir vorsichtshalber bei jedem Alarm die Fens-
ter ausgehängt und flach unter einen Kasten gelegt. Die drei Flak- wie Richt-
türme stehen heute noch in Wien. Weitere Flakbatterien waren am Eichkogel
bei Mödling (die Grundrisse der Stellungen sind heute noch zu sehen), wie auch
im Raum Fischamend und Schwechat sowie auf den Pylonen der ehemaligen
Wiener Reichsbrücke installiert.
Der Mündungslärm der Flakgranaten wurde aber durch die Explosion der Bom-
ben noch verstärkt. Es war dies ein tiefes Dröhnen und Zittern unterschied-
licher Stärken, das je nach dem Gewicht der Bomben und der Richtung des
Bombenteppichs langsam näher kam und immer intensiver wurde. Wir alle
schwiegen und hofften, dass es diesmal an uns vorübergehen würde. Ge-
fürchtet waren die 500-kg-Bomben und die Luftminen, denn bei einem Ein-
schlag dieser blieb von der Umgebung nicht viel übrig. Nach jeder Angriffs-
welle, wenn der Lärm der Bomber und Bomben etwas verebbt war, hörten wir
das Schuttrieseln von den zu Ruinen zerbombten Häusern, hoffend, dass wir
auch für die kommenden Nächte in unserer Wohnung ein Dach über dem Kopf
finden würden. So war der erste Blick nach Beendigung eines Luftangriffs und
dem Entwarnungs-Heulen der Sirene auf das Haus und die Wohnung, ob die-
se noch ganz waren. Dieses Inferno kann man wohl in Form einer plastischen
Beschreibung, unterstützt mit Bildern oder Filmen näherbringen, jedoch nie
authentisch beschreiben, denn keine noch so gute (und lautstarke) Tonkulisse
kann das Dröhnen von Hunderten von Flugmotoren und Mündungsfeuern wie-
dergeben: Es reichte bis zum Zerreißen des Trommelfells. Auf dem Heimweg
von der Schule nach Hause war schon in der Operngasse mein erster besorg-
ter Blick auf das Eckhaus Margaretenstraße – Schleifmühlgasse, um zu sehen,
ob unsere Wohnung noch vorhanden war.
Das erste Jahr in der Mittelschule war sehr „durchwachsen“. Im Hauptgebäu-
de des Akademischen Gymnasiums hatten wir, da eine andere ausgebombte
Schule eingemietet war, keinen Platz, sodass wir im Schottengymnasium eine
Herberge fanden. Dort lief der Unterricht etwa bis Ende März geordnet ab, wir
hatten einen fixen Stundenplan und einige Professoren kamen in voller Par-
teiuniform in die Klasse. Sobald der Kuckuck-Ruf im Radio ertönte, wurden wir
nach Hause entlassen. Ich suchte entweder den tiefen und daher sehr siche-
ren Luftschutzkeller im Wohnhaus meiner Tante in der Plankengasse oder den
nicht so sicheren, aber auch nicht so kalten und feuchten Keller im Büro meines
Vaters in der Elisabethstraße auf. Aufmerksam verfolgten wir die Luftlagemel-
dungen, die aus dem vom Feind nicht peilbaren Drahtfunk über die Telefonlei-
tung kamen und das gleichmäßige Ticken des Radioweckers unterbrachen.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115