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und die Brücke der Roten Armee, die dann wieder zur Reichsbrücke wurde;
dies sind nur einige Beispiele. Klarerweise wurden diese Umstellungen von den
Wienern aufs Korn genommen und zum folgenden Witz geformt: Ein Wiener
fährt mit der Straßenbahn, der Schaffer ruft: „Tolbuchinstraße, früher Laxen-
burger Straße“, der Wiener steigt in einen Ringwagen um und hört eine wenig
später: „Stalinplatz, früher Schwarzenbergplatz.“ Schließlich erreicht er die
Endstation und der Schaffner ruft: „Brücke der Roten Armee, früher Reichs-
brücke.“ Da steht der Wiener auf und sagt in breitem Wienerisch: „Hab‘ die Ehre
und auf Wiedersehen, früher Heil Hitler.“
Auch auf Briefmarken mussten der Wert und die Bezeichnung des Landes
überdruckt werden. Dabei gab es – beabsichtigt oder unbeabsichtigt - einige
Fehldrucke, die bald als Rarität hoch im Kurs standen.
Neben dem Militärgeld wurde bald wieder die Schillingwährung eingeführt.
Die Registrierkassen zeigten zwar noch lange Mark und Pfennig an, doch man
zahlte schon in Schilling und Groschen. Nach der ersten Abwertung wurden
nicht gänzlich neue Banknoten herausgegeben, sondern aus Zeitmangel nur
die alten Banknoten mit einer weißen Allonge am rechten Rand versehen. Alle
Sparbucheinlagen, die wir mühsam im Krieg als Marken eingeklebt hatten,
wurden über Nacht wertlos.
Das neu entstandene Österreich besaß keine eigene Hymne. Dafür wurde in
den ersten Jahren der Besatzung nach Auswegen gesucht. Ich war damals
im Akademischen Gymnasium am Beethovenplatz und unser Musikprofessor
hieß – wenn ich mich richtig erinnere – Reinhold Schmidt. Dieser war ein be-
geisterter wie auch begeisternder Musikpädagoge und er regte uns zum Sin-
gen an. So haben wir öfters am Ende von Schulfeiern „Brüder reicht die Hand
zum Bunde“ aus einer Freimaurerkantate von Wolfgang Amadeus Mozart ge-
sungen, nicht ahnend, dass später diese Melodie, von Paula von Preradovic´
getextet, die österreichische Bundeshymne werden sollte, da wir die Haydn-
Melodie an Deutschland abgegeben hatten.
Es wäre nicht Wien, sollte nicht der neue Text gleich parodiert werden. So
konnte man schon bald eine „Neufassung“ hören, wie „Land der Erbsen, Land
der Bohnen/ Land der alliierten Zonen/ Land der unbekannten Fremden/ die
uns auszieh’n bis auf d’Hemden/ vielbefreites Österreich“.
Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Title
- Es rissen alle Stricke – doch wir überlebten
- Subtitle
- Episoden aus der Kriegs und Nachkriegszeit in Wien in einer nicht streng chronologischen Abfolge
- Author
- Othmar Nestroy
- Editor
- Technischen Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-741-0
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 120
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einstimmung 8
- Einleitung 11
- Politische Propaganda 13
- Spiel und Sport 19
- Der Krieg wird spürbar 23
- Die großen Wendepunkte: Der Fall von Stalingrad und von Monte Cassino, die Landung in der Normandie und das Hitler-Attentat 29
- Privater und öffentlicher Verkehr 32
- Die ersten Bomben fallen auf die Innenstadt 41
- Der totale Krieg beginnt 47
- Die Front rückt näher 57
- Die Soldaten der Roten Armee erobern Wien 61
- Das Leben normalisiert sich und der Wiederaufbau beginnt 75
- Das lange Warten auf den Staatsvertrag 89
- Nachklang 93
- Persönliche Schicksale am Rande des Krieges 97
- Ausklang 115