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Er probierte, suchte, experimentierte und vergeudete Zeit und Kraft. Den ersten
Abschnitt seiner Regierungszeit prägten denn auch zahlreiche Initiativen in allen
Bereichen der Majoratsführung, von der Gütereinteilung über die Kunstförderung,
das gesellschaftliche Leben und die Diplomatie bis hin zur prachtvollen Hofhal-
tung, die vielgestaltig, besonders heterogen und bisweilen in sich widersprüchlich
waren. Der junge Fürst verband unvermittelt Altes und Neues, Tradition und In-
novation. So betrat er mit der Übernahme des Postwesens durchaus innovations-
freudig den noch neuen Dienstleistungssektor. Mit dem Aufbau einer gigantischen
Schafhaltungswirtschaft folgte er vorausdenkend der steigenden Nachfrage von
Wolle, die europaweit Absatz fand und seinem Majorat Gewinne in beträchtlichem
Ausmaß einbrachte. Dafür tätigte er große Investitionen und löste weitreichende
strukturelle Veränderungen mit ungeahnter Dynamik aus. Der Fürst blieb zwar
konservativer agrarkapitalistischer Großlandwirt, wurde aber gleichzeitig innovati-
ver Unternehmer. Dabei setzte Nikolaus auf die Bildung und Weltgewandtheit der
Mitglieder des Hofstaates und hielt doch gleichzeitig an seinem patriarchalischen
Allmachtsanspruch fest. Der Fürst blieb Ausbeuter seiner untertänigen Bauern, so
reformfreudig er sich auch geben mochte, denn alles andere hieße, die Herrschafts-
elite frontal anzugreifen. Gleichzeitig wurde er jedoch auch vom Wissen und den
Fachkenntnissen des aufkommenden Bildungsbürgertums abhängig, das er für sich
zu nutzen wusste.
Der Fürst blieb im Standesdemonstrationsgehabe durch Fest und Zeremoniell
alten (Familien-)Traditionen verhaftet, übersteigerte sie sogar ins anmaßend kai-
serliche und war gleichzeitig mit aufgeklärten Forderungen nach Leistung, Huma-
nität und Bescheidenheit konfrontiert. Bei der Erziehung seiner Kinder und der
außerehelichen Liebe gab er sich empfindsam schwärmerisch, folgte jedoch den
gewohnten geschlechterspezifischen Kriterien der Fürstenbildung und stellte die
Konvenienzehe mit Fürstin Maria Hermenegilde nie infrage. Mit seiner Geliebten,
Gräfin Henriette Zielinska, spielte er jedoch modebeflissen – frei nach Rousseau –
den vernunftbegabten »Landmann«.
Ungern erfüllte Nikolaus seine Pflichten als Militär, Diplomat und Repräsentant
des Kaisers. Dennoch waren diese für die fürstliche Selbstdarstellung unabwendbar,
jedoch gleichzeitig vor dem Hintergrund des aufstrebenden Briefadels und leis-
tungsorientierten Bürgertums machtpolitisch ausgehöhlt. Der Fürst genoss für sein
prachtvolles Auftreten Bewunderung, war auch für die Finanzierung von Truppen
von Bedeutung, hatte aber seine Autorität per se verloren.
Nikolaus lavierte zwischen der Darstellung des sozialisierten Selbstverständnis-
ses gottgegebener (und damit auch geistiger und finanzieller) Überlegenheit eines
Fürsten und der gleichzeitigen Etablierung eines Kunstkennertums, das von einer
neuen bürgerlichen Elite geprägt war. Der Prestigegewinn durch Kunst und der
Aufbau einer Sammlung war hierbei nach wie vor glanzvolles Machtsymbol. Es
galt jedoch, durch Beteiligung am intellektuellen Diskurs eine aufgeklärt-moderne
Kennerschaft zu entwickeln und zu belegen. Dass sich Nikolaus hierbei eines elo-
quenten bürgerlichen Expertenkreises bediente, war ebenso neu wie die Rezeption
von Sammlungsstrategien und die Erschließung neuer Sammelgebiete, wie den
Naturwissenschaften, die ein bürgerliches Phänomen waren. In seinem Kunstge-
schmack war der Fürst eindeutig den vorherrschenden Moden und Trends verhaftet,
die er mit seinen umfangreichen Mitteln auch finanzieren konnte. In diesem Zu-
sammenhang bewegte sich Nikolaus – wie schon sein Vater – in der baulichen Ak-
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Subtitle
- Biografie eines manischen Sammlers
- Author
- Stefan Körner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Size
- 23.0 x 28.0 cm
- Pages
- 404
- Category
- Kunst und Kultur