Page - 338 - in Nikolaus II. Esterházy und die Kunst - Biografie eines manischen Sammlers
Image of the Page - 338 -
Text of the Page - 338 -
RÜCKZUG IN DIE
KUNST338 389 Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und
Kunst, Jg. XIV (1823), Heft 116, S. 608–609,
S. 608.
390 Vgl. ehem. EPA, Hauscassa 1824, VII./XI, Juli
1824, zit. in : Meller 1915, Quellenteil : Nr.
601 ;
EPA, CD 1824/3664, 3666, 8. November 1824.
391 Vgl. EPA, CD 1824/1587, 17. Juni 1824. Vgl.
Inventar-Rechnung 10, Bildergalerie Wien,
1824, Zuwachs, 22. Oktober 1824, in : EPA,
Inventarrechnungen. 1820 gab es die ersten
Umlagerungen von montierten fernöstlichen
Porzellanen aus dem Eisenstädter Schloss nach
Wien (vgl. EPA, Prot. 6127, 19. August 1820).
392 Schon kurz nach der Aufstellung wurden aller-
dings einige Porzellane wieder in die fürstliche
Wohnung im Majoratspalais abgegeben (vgl.
EPA, Inventarrechungen, Nr.
73, 1824).
393 Vgl. Inventar-Rechnung 5, Mariahilfer Garten-
gebäude 1824, fol. 4, Oktober 1824, in : EPA,
Inventarrechnungen.
394 Reparatur : EPA, CD 1819/4149, 8. November
1819.
395 Vgl. Inventar-Rechnung 10, Bildergalerie Wien,
1824, Zuwachs, 13. Oktober 1824, in : EPA,
Inventarrechnungen.
396 Vgl. EPA, CD 1833/382, 7. August 1833.
397 Vgl. EPA, CD 1824/3664, 3666, 8. November
1824.
398 Der Mineraloge und Händler Matthias Unter-
holzer sortierte die Bestände in 26 gelb gestri-
chenen, eisernen und grauen Mineralienkästen
neu (vgl. Verzeichnis der in der hochfürstlich
Esterházyschen Bibliothek u. Mineralien-Cabinet
im rothen Hause befindlichen Meubeln, 2. März
1827, in : EPA, Inventare, Neues Inv. Nr. 29,
altes Nr. 75). Es wurde zwischen vier Samm-
lungsteilen differenziert : 1. große Minerali-
ensammlung in zwölf Schränken (Metalle,
Erd- und Steinarten, Salze, bekannte Minera-
lien) ; 2. Sammlung der Madame Raab in zwei
Schränken, die weiterhin in der Bildergalerie
waren, über 300 Kristallmodelle aus Holz und
Messing ; 3. Muschelsammlung in acht Schrän-
ken (Muscheln und Korallen) ; 4. Seegewächs-,
Seeigelsammlung in acht Schränken, wo auch
Straußeneier und andere Naturalien waren, die
aus Eszterház stammten (vgl. Inventar der fürst-
lich Esterhazyschen Mineralien und Conchilien
Sammlung, um 1827, in : EPA, Prot. 5912, 5910).
Auch beim anschließenden Umbau des Mariahilfer Museums 1824 dilettierte der
von allen Experten »verlassene« Fürst. Auf der einen Seite bewies er technische
Fortschrittlichkeit, indem er eine Rumford’sche Heizung nach dem neuesten eng-
lischen Patent installieren ließ. Auf der anderen Seite verunklärte er mit der Hän-
gung der in Italien bei Agricola und Riepenhausen bestellten Werke im Stil der
Nazarener seine Galerie. Recht unmotiviert ließ er sie in den letzten Raum der
Gemäldegalerie hängen, dazu die zeitgenössischen Büsten von Papst Pius VII. und
Kardinal Consalvi stellen389 und mischte so unter die bestehende hohe Qualität
wenig überzeugende Zeitgenossen.
Auch im Erdgeschoss des Galeriegebäudes wurde umgebaut und damit die einst
so fortschrittliche Ordnung der Sammlung aufgelöst. Anstelle der Bibliothek und
der Mineraliensammlung390 zog jetzt die Skulpturensammlung ein391, um in den
dunklen und tiefen Räumen schlecht beleuchtet zu sein. Auch die 1824 im Neben-
raum aufgestellte »Porcellaine-Sammlung« widersprach allen Ideen einer zeitge-
mäßen oder plausiblen Sammlungsaufstellung. Die meist mit barocken Pariser
Bronzemontierungen versehenen chinesischen und japanischen Porzellanvasen,
-figu ren und -pagoden hatte Nikolaus 1810 auf seiner Reise nach Paris als kom-
plette Sammlung erworben und über die Jahre eingelagert gelassen. Warum er sie
jetzt und dann auch noch als Porzellankabinett in sein eigentlich so idealistisches
Sammlungspalais eingliederte, bleibt eine unverständliche Entscheidung des Fürs-
ten392, denn in einer Gemäldegalerie hatten sie nichts zu suchen. Es scheint wohl
ganz privater Spleen gewesen zu sein, denn auch die großen Vasen und Kannen der
Madame de Pompadour, die der ganze Stolz von Nikolaus’ Großvater waren, wur-
den als private Erinnerungsstücke ins Porzellankabinett gebracht393.
Es folgten weitere eigenwillige Maßnahmen des Fürsten, wie die Installation ei-
nes großen englischen Spiegelteleskops auf dem Dach394 und eines Guckbildkinos
mit einer Ansicht von Neapel, eines türkischen Kaffeehauses und eines ostindischen
Bades395, das eigentümlich verloren und unpassend zwischen den wertvollen Bil-
dern stand. Die Galerie wuchs nicht mehr, und Versuche von Bibliothekar Gaál, die
Ordnung Fischers von 1814 wiederherzustellen, wies Fürst Nikolaus bis zu seinem
Lebensende energisch zurück396. Die Bibliothek und Mineraliensammlung, die aus
dem Mariahilfer Palais ausziehen mussten, gelangten ins Rote Haus397, wo sie von
nun an ein unbeachtetes Dasein fristeten398.
Die wertvolle und bedeutende fürstliche Galerie war im zehnten Jahr ihres Be-
stehens so zu einer fragwürdigen und wenig kenntnisreichen, ja verunklärten Mi-
schung geworden, der der halbherzige Versuch der Einbringung zeitgenössischer
Kunst genauso wenig guttat wie die unmotivierte Aufnahme von asiatischen Por-
zellanen oder die Umstellung der Marmorskulpturen in den dunklen Erdgeschoss-
raum. Die wissenschaftlichen Sammlungen, essenzielles Merkmal der viel gelobten
liberalen Sammlungsaufstellung seit 1814, waren an einen unbedeutenden Depot-
standort verbannt worden. Das Mariahilfer Palais schien damit in seiner letzten
Umbauphase 1824 eher eine eklektische Zusammenziehung von Lieblingsobjekten
des Fürsten geworden zu sein. Das einst so fortschrittliche, aufsehenerregende Ma-
riahilfer Museum hatte damit seine einstige Reinheit der idealistischen Konzeption
verloren, wie auch der Fürst seinen Anschluss an die Zeit eingebüßt hatte.
Der alternde Fürst Nikolaus II. hatte trotz seiner vielen Reisen und seines Rück-
zugs aus der Gesellschaft in abgelegene Privatdomizile während und nach dem
Wiener Kongress bewiesen, dass er mit seinen Beratern richtungsweisend, modern
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Subtitle
- Biografie eines manischen Sammlers
- Author
- Stefan Körner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Size
- 23.0 x 28.0 cm
- Pages
- 404
- Category
- Kunst und Kultur