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Tagebuch 1937/1
Paradiso Tintorettos, die gar keinen Zusammenhang mit d. ausgeführten Bild hat
u. so detailliert ausgeführt ist, bis in d. letzten Hintergründe hinein, wie nicht ein-
mal d. ausgeführten Bilder Tintor[etto]’s es sind – da kam d. Ehepaar Wotruba da-
her u. ergoss d. ganzen dreckigen Schwall der typischen Künstlermentalität über uns,
als ob eine andre Piepe nur aufgedreht worden wäre wie gestern (u. vorgestern) bei
Floch. Wotruba hat seinen Mahlerprozeß in d. 1. Instanz verloren u. geht jetzt zur 2.
Ein bißchen weiter stießen wir auf Böckl, der hier im Louvre zeichnet u. kopiert
(Tintor[etto]) u. den Eindruck eines prachtvollen Idioten macht, was mir 1000 x lie-
ber ist als der des kombattanten Karrieremachers. Schließlich waren wir dann doch
wieder ein Weilchen allein mit d. Bildern. Ich ruh’ mich im Hôtel aus. Hans ist einen
Holzschn[itt] photograph[ieren] gegangen u. holt mich in der École d[es] B[eaux]
A[rts] ab.23
1. Mai
Gestern wieder nicht geschrieben. In d. Éc[ole] d[es] B[eaux] A[rts] war eine sehr
interes s[ante] Ausstell[ung] von ital[ienischen] Z[eichnung]en des 17. u. 18. Jhs., mit
Katalog. Für uns wichtig, da die Tizianrenaiss[ance] des An[nibale] Carracci beson-
ders deutlich wurde (eine Landsch[aft])24
2. Mai
Und schon wieder abgebrochen. Ich fahre fort – Nach gutem Ausruhen hat uns Dr.
Edel im Hôtel abgeholt. Wir haben bei d. Chinesen genachtmahlt u. sind noch bei
einem Bok zusammen gesessen. Dieser Hungeridealismus ist unendlich erschütternd.
Er lebt von 200 fr[ancs] im Monat, von denen er 50 noch der Académie, in der er ar-
beiten darf, zahlt. Es ist unbegreiflich, daß jemand unter diesen Umständen noch das
strahlende Glücksgefühl d. Jugend aufbringt
– u. so jung ist er ja gar nicht, schon über
30. Ich muss immer an Stoffel denken
…25
Der nächste Tag – der 30. April – hat mit einem Ausflug zum Garde Meubles
d. Schweizer Tiziansammlers angefangen, wo wir in einer gutverpackten Kiste d.
Portr[ät] Franz I. zu sehen bekamen. Es war zwar eine ungewohnte Ansicht u. d.
Vergleichung mit d. Louvreoriginal erschwert, aber dennoch glauben wir mit gutem
Gewissen d. Bild als alte Kopie ansehen zu können. Dann die Degas-Ausstell[ung],
die die 10 fr[ancs] Entrée wert war, wenn sie auch gar keines der schönen Jugendport-
räts enthielt. Dann hinüber in d. Österreich[ische] [Ausstellung] Jeu du Paume. Da am
Nachmittag d. Eröffn[ung] ist, war es so gut wie fertig, nur fehlt d. Katalog. Unten die
alte Kunst sieht ganz gut u. reichlich aus. Es ist alles auf Durchschnitt u. Ensemble
gearbeitet, ganz ohne Höhepunkte u. Sensationen. Oben hat alles Mop[p] gemacht,
er schießt herum macht Witze u. Stimmung für sich (gegen andre). Wenn man hinter
die Kulissen sieht u. seine Feindschaften (gegen Faistauer, gegen OK etc.) kennt, so
ist es widerlich, was geschehen ist und wenn man auf die Bühne sieht u. sein Portrait
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien