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Tagebuch 1937/2
Haag)) u. uns ein wenig mit Tizianphotos beschäftigt haben. Das ist anregend, aber
kein Vergnügen. Um vier Uhr schließen d. Leute in d. richtigen Voraussetzung, daß
man so etwas doch nicht zu lange aushalten kann. Wir sind zu Langton Douglas, der
aber zwischen zwei unaufschiebbaren Dingen war u. uns für Freitag bestellte – und
dann zu Frank Sabin, der uns seinen „Giorgione“ zeigen sollte. Er war
– Frank Sabin
–
eindrucksvoll wie das erstemal, diesmal mit einer grünen Weste die mit Hirschen
überstickt war
– aber auch sein Giorgione war es, die wohl sichere bessere Fassung der
Salome im Doria vom Northbrook House, in Berlin restauriert. Der kl[eine] Engel im
Bogen (?) r[echts] fehlt, die Dienerin l[inks] in prachtvollem Grün, sonst eher etwas
kalt. Hans meint trotz alledem (d. h. trotzdem Richter das Bild als Giorg[ione] in sein
Buch nimmt) daß d. Bild vom jungen Tizian ist. Wir sahen noch ein Venus u. Adonis-
bild, das von Tintoretto sein soll, was in meine bisherige Vorstell[ung] von Tintor[etto]
nicht hineinpassen will. Es fehlt ihm d. Rhythums in d. Posen, ich möchte sagen : das
Netz, das die Quadrille d. Figuren zusammenhält. So tintorettesk in Einzelheiten, so
doch im ganzen mit einem Spritzer aus d. Norden … Schließlich – was uns nicht
angeht – ein Velazquezporträt, d. Königin Marianne in Schwarz ; schön, flüchtiger
gemalt als d. fertige Bild. Wir blieben, solang wir konnten. D. h. bis 6h.
–26
2. Juni (Fixleins Geburtstag !)27
Ich bin gestern im Green Park wieder nicht fertig geworden u. muß daher heute früh
mit „vorgestern abends“ starten. Da sind wir nämlich nach d. Nachtmahl zu Captain
Reitlinger nach Princess Garden gefahren. Der wohnt jetzt
– u. ist jetzt
– viel üppiger,
als ich ihn von anno dazumal („Sultan-Kopie“) in Erinnerung hatte. Bei ihm eine
Nichte jung u. hübsch u. das stark jüdische Element des Onkels schon mehr – we-
nigstens im Aussehen – auf englisch eingefärbt. Die Sprache aber bei beiden so un-
verkennbar, daß es lang schwer war den lockenden Singsang aus d. Ohren zu kriegen.
Die Bilder
– lauter vlämische Manieristen u. ein Wunder d. hl. Markus, d. d. […]kna-
ben aus China fortträgt, […] d. Z[eichnung] von Altomonte, Kunsttop[ographie] ? –
wo ? – ; d. Z[eichnung]en sehr gut in dieser Schule, unansehnlich, was Italien anbe-
langt, bis auf eine gute Tintorettozeichn[ung] f. d. Bild in d. Eremitage, von der Witt
d. Photogr[aphie] haben soll. Es war im Ganzen mehr originell u. anstrengend als
ertragreich. Gestern haben wir früh erst Burgs aufgesucht, die direkt gegenüber d.
Brit[ish] M[useum] uns am Weg wohnen. Dann d. doubtful u. unmounted zur Entlas-
tung d. Gewissens im Printroom durchgearbeitet und d. „Imperial“ (zum Unterschied
der Royal (Normalformate)[)] am Nachmittag. Geluncht mit Frau Tarnay, was immer
eine schmerzliche Angelegenheit ist. Eine Stunde Originale unter Byam Shaws Lei-
tung
– darunter mein Legote von […] ?–28
Ein ¼ Stündchen im Green Park – s[iehe] oben Anfang vom 1. Juni – und dann
Gang nach Soho, wo wir von Christine zum Abenddinner eingeladen waren. Ganz
merkwürdig wohnt sie in dieser Hinterhausgegend des großen Amüsierviertels mit
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 346
- Category
- Biographien